Musikstück der Woche mit dem Karlsruher Barockorchester

Ludwig van Beethoven: Leonoren-Ouvertüre Nr. 2 op. 72a

Stand
Autor/in
Felix Werthschulte

Mit kaum einem Werk hat Ludwig van Beethoven so gerungen wie mit seiner einzigen Oper "Fidelio", die zu seinen Lebzeiten auch als "Leonore" aufgeführt wurde. Innerhalb von zehn Jahren hat der Komponist allein von der Ouvertüre zu diesem Werk vier unterschiedliche Fassungen geschaffen. Unser Musikstück der Woche, die Version der Uraufführung aus dem Jahr 1805, interpretierte das Karlsruher Barockorchester im November 2016 in der Festhalle der Fächerstadt.

Heureka!

Die schillernde Welt der Oper – selbst für den "Musiktitan" Ludwig van Beethoven stellte sie eine Herausforderung dar. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts galt der Komponist zwar als Pianist und Schöpfer von Instrumentalmusik als einer der führenden Köpfe seiner Zeit, doch mit der Oper tat er sich schwer. Es brauchte unzählige Anläufe des Suchens, Skizzierens und Verhandelns mit möglichen Librettisten, ehe Beethoven um 1803 endlich "sein" Textbuch gefunden hatte: die dramatische Geschichte um die couragierte Leonore, die als Mann getarnt ihrem zu Unrecht im Kerker schmorenden Geliebten Florestan das Leben rettet und ihn aus dem Kerker befreit. 

Radikale musikalische Poetik

Für die damalige Opernwelt Wiens, die im Glanz der italienischen Oper schwelgte und den Zauber des deutschen Singspiels liebte, bildete allein das Sujet dieser "Rettungsoper" etwas völlig Ungewohntes. Doch nicht nur mit dem aufwühlenden, humanistischen Inhalt, auch mit der Musik betrat Beethoven radikal Neuland. Die Ouvertüre war dem Komponisten dabei so wichtig, dass er eine erste Fassung schnell verwarf und bald darauf eine zweite Version komponierte. Knapp eine Viertelstunde intensive, hoch dramatische Instrumentalmusik, noch bevor überhaupt ein einziger Ton gesungen wurde!

Von der Dauer abgesehen liegt das frappierend Neuartige an diesem Werk besonders in der musikalischen Poetik. So lassen die Anfangstakte die modrige Atmosphäre von Florestans Verlies erahnen, aufsteigende Akkordbrechungen und schließlich das vorwärts drängende, synkopierte C-Dur-Thema künden von seinem ungebrochenen Freiheitswillen, ein hinter der Bühne gespieltes Trompetensignal bald darauf von der nahenden Befreiung. In der rasanten Coda schließlich bricht sich der Jubel über den Triumph über die besiegte Ungerechtigkeit unüberhörbar seine Bahn. Die Ouvertüre wird zu einer Art eigenständigem, rein instrumentalen Musikdrama, ehe die Oper überhaupt begonnen hat. 

"Ebenfalls nicht vorzüglich"

Für Novitäten dieser Art hatten Beethovens Zeitgenossen keinen Sinn. "Das Ganze, wenn es ruhig und vorurtheilsfrey betrachtet wird, ist weder durch Erfindung noch durch Ausführung hervorstechend", urteilte der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung. "Die Ouvertüre besteht aus einem sehr langen, in alle Tonarten ausschweifenden Adagio, worauf ein Allegro aus C dur eintritt, das ebenfalls nicht vorzüglich ist und mit anderen Beethovenschen Instrumentalkompositionen – auch nur z. B. mit seiner Ouvertüre zum Ballet, Prometheus, keine Vergleichung aushält." 

Ludwig van Beethoven
Ludwig van Beethoven

Kein Kind seiner Zeit

Obgleich die Premiere am 20. November 1805 im Theater an der Wien zum Misserfolg wurde, setzte Beethoven die Arbeit an der Oper intensiv fort. 1806 und 1814 vollendete er weitere Fassungen seines Fidelio, jeweils versehen mit einer eigenen Version der Ouvertüre. Dass gerade diese Eingangsstücke von ganz eigenem Wert waren, erkannten erst die nachfolgenden Generationen. 1840 führte Felix Mendelssohn Bartholdy alle vier Leonoren-Ouvertüren hintereinander im Leipziger Gewandhaus auf und adelte sie damit als selbstständige Instrumentalwerke. Im späteren 19. Jahrhundert bezogen sich besonders die Vertreter der Programmmusik auf die Ouvertüren, um ihr eigenes Schaffen zu legitimieren.

Die zuletzt komponierte Fidelio-Ouvertüre hat den Bezug zum Musiktheater nie verloren; sie wird heute in der Regel als Entree zur Oper gespielt. Die Leonore III gilt gemeinhin als ausgewogenste und formal schlüssigste Fassung. Nummer 2, die Ouvertüre der Premierenfassung, ist die unangepassteste, gewagteste unter den vier "Schwestern" – und bleibt gerade deshalb bis heute ein ungemein inspirierendes Musikstück. 

Karlsruher Barockorchester

Auf Initiative des Kantors der Evangelischen Stadtkirche Karlsruhe, Christian-Markus Raiser, wurde das Karlsruher Barockorchester 1998 gemeinsam mit Musikern aus der Region Karlsruhe gegründet, die sich auf das Musizieren mit historischem Instrumentarium spezialisiert haben. Schnell hat sich das Orchester einen Namen als exzellenter und zuverlässiger Klangkörper geschaffen und ist inzwischen im gesamten süddeutschen Raum und im benachbarten Ausland ein gefragter Partner in der Kirchenmusik. Mehrfach war es unter anderem bei den Internationalen Händelfestspielen in Karlsruhe zu hören. Die Musiker bringen dabei ihre Erfahrungen aus mehreren überregional bekannten Ensembles ein. Das Repertoire des Klangkörpers reicht von Monteverdi über die Oratorien, Passionen und Kantaten Bachs und Händels bis hin zu Werken der späten Klassik und frühen Romantik. Am 4.11.2016 konzertierte das Karlsruher Barockorchester mit einer Rekonstruktion des Konzertprogramms zur Uraufführung der Sinfonie Nr. 1 von Brahms, in dessen Rahmen auch die Leonoren-Ouvertüre von Beethoven gespielt wurde. Dirigent dieser Aufnahme ist Christoph Siebert.

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Felix Werthschulte