Musikstück der Woche mit Till Fellner

Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 4

Stand
Autor/in
Doris Blaich
Kerstin Gebel

Beethovens Klavierkonzerte gehören zu den größten Kostbarkeiten des Konzertrepertoires, das vierte ist ein besonders hell leuchtender Stern am musikalischen Himmel. In unserer Aufnahme spielt das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter Leitung von Eivind Aadland. Der Solist ist Till Fellner.

Ein Marathon, selbst für Beethoven-Fans

Beethoven war ein grandioser Pianist. Entsprechend anspruchsvoll ist seine Klaviermusik. Sein 4. Klavierkonzert hat er 1805/06 für sich selbst komponiert, auf dem Höhepunkt seines Schaffens. 1807 stellte er es in privatem Kreis im Palais des Fürsten Lobkowitz vor und saß selbst am Klavier.

Als das Konzert für eine größere Öffentlichkeit im Dezember 1808 auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten des Komponisten erklang, stand es in einer Reihe nicht weniger bedeutender Werke, die dem Publikum als Neuigkeiten vorgestellt wurden: die fünfte und sechste Sinfonie und die Fantasie für Klavier, Chor und Orchester op. 80. In dem vierstündigen Konzert erklangen außerdem noch die Szene "Ah perfido" und das Gloria und Sanctus aus der C-Dur-Messe von 1807. Das Publikum in dem ungeheizten Saal des Theaters an der Wien begann bald zu frieren und selbst Beethoven-Enthusiasten fiel es schwer, bis zum Schluss durchzuhalten. Für Beethoven endete diese musikalische Akademie dennoch erfolgreich – zum Glück, schließlich musste der finanzielle Gewinn seinen Lebensunterhalt für ein ganzes Jahr absichern.

Unerhört!

Das Klavier eröffnet dieses Konzert alleine, ohne Orchestervorspiel. Das ist nicht neu (wie man oft liest – auch Mozart hat damit experimentiert), aber dennoch unerhört, denn nach der piano-dolce vorgetragenen ersten Klavierphrase schleicht sich das Orchester mit dem selben Thema ins Geschehen ein – jetzt allerdings nicht in der Grundtonart G-Dur , sondern im entlegenen H-Dur. Die Wirkung ist wie aus einer anderen Welt. Daraus entspinnt sich allmählich das Eingangstutti. Übrigens hat Beethoven dieses Eingangsthema in seinem Skizzenbuch direkt neben dem der fünften Sinfonie notiert; beide Themen sind in ihrer pochenden rhythmischen Struktur verwandt, wenngleich charakterlich völlig unterschiedlich.

Alle drei Sätze des Konzerts sind unterschiedlich instrumentiert: Im ersten Satz schweigen die Pauken und Trompeten, der zweite ist ausschließlich mit Streichern besetzt, und erst im Finalsatz (attacca nach dem Mittelsatz) kommt mit grandioser Wirkung das volle Orchester zum Einsatz.

Was ist neu an Beethovens viertem Klavierkonzert?

Der Musikforscher Peter Rummenhöller schreibt: „Das Neue des 4. Klavierkonzerts liegt nicht in seiner ‚Romantik‘, sondern in der Spannung zwischen äußerer und innerer Form. Die äußere tut der sinfonischen Konzertform traditioneller Art Genüge, die innere aber differenziert sich bis zum äußersten, etwa indem der Solopart nicht Primadonna, sondern Dialogpartner des Orchesters ist, indem die Harmonik in bis dahin nicht gekannter Weise zur farblichen Verdeutlichung der motivisch-thematischen Arbeit eingesetzt wird und indem schließlich die Errungenschaften der Instrumentierung, die Beethoven auf dem Gebiet der Sinfonie erreicht hatte, nun auch auf das Solokonzert übertragen werden.“

Till Fellner

Für viele Musiker ist ein Preis bei einem internationalen Wettbewerb der Startschuss zur Bühnenkarriere – so auch bei Till Fellner: er gewann 1993 den 1. Preis beim Concours Clara Haskil in Vevey (Schweiz). Seitdem ist er ein gefragter Gast bei den wichtigen Orchestern und in den großen Musikzentren Europas, der USA und Japans sowie bei zahlreichen bedeutenden Festivals.

Zu den Dirigenten, mit denen Till Fellner bisher konzertiert hat, zählen Claudio Abbado, Vladimir Ashkenazy, Semyon Bychkov, Nikolaus Harnoncourt, Sir Charles Mackerras, Kurt Masur, Kent Nagano, Jonathan Nott und Kirill Petrenko. In der Kammermusik arbeitet er regelmäßig mit dem britischen Tenor Mark Padmore zusammen. Das Belcea Quartet hat ihn anlässlich seines 20-jährigen Bestehens 2015 zu zahlreichen Konzerten in ganz Europa und einer Aufnahme des Klavierquintetts von Brahms eingeladen, die CD ist im Herbst 2016 erschienen.

In den vergangenen Jahren widmete sich Till Fellner intensiv zwei Meilensteinen des Klavierrepertoires: dem Wohltemperierten Klavier von Johann Sebastian Bach und den 32 Klaviersonaten Ludwig van Beethovens. Auch die Aufführung von zeitgenössischen Werken ist ihm ein großes Anliegen; so hat er u.a. Werke von Kit Armstrong, Harrison Birtwistle, Thomas Larcher und Alexander Stankovski uraufgeführt. 2012 zog er sich für ein Jahr aus dem Konzertbetrieb zurück, um sich dem Studium neuen Repertoires zu widmen und seine Kenntnisse in den Bereichen Komposition, Literatur und Film zu vertiefen.

Studiert hat Till Fellner in seiner Heimatstadt Wien Klavier bei Helene Sedo-Stadler. Weitere Studien führten ihn zu Alfred Brendel, Meira Farkas, Oleg Maisenberg und Claus-Christian Schuster. Seit Herbst 2013 unterrichtet er als Professor an der Zürcher Hochschule der Künste einen kleinen Kreis von Studenten.

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

1946 wurde das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg gegründet. Fortan identifizierte es sich mit den Idealen seiner "Gründerväter", die der festen Überzeugung waren, dass die engagierte Förderung der neuen Musik ebenso wichtiger Bestandteil des Rundfunk-Kulturauftrags ist wie der Umgang mit der großen Tradition.

In diesem Sinne haben die Chefdirigenten von Hans Rosbaud über Ernest Bour bis zu Michael Gielen gearbeitet und ein Orchester kultiviert, das für seine schnelle Auffassungsgabe beim Entziffern neuer Partituren ebenso gerühmt wurde wie für exemplarische Aufführungen und Einspielungen des traditionellen Repertoires eines großen Sinfonieorchesters.

An die 400 Kompositionen hat das Orchester uraufgeführt und damit Musikgeschichte geschrieben. Michael Gielen prägte das Orchester als Chefdirigent in den Jahren 1986-99, dann übernahm Sylvain Cambreling, ab Herbst 2011 François-Xavier Roth. Im September 2016 wurde das Orchester mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR zusammengeschlossen zum SWR Symphonieorchester.

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Doris Blaich
Kerstin Gebel