Die großen CD-Firmen veröffentlichen kaum noch Opern, schon gar keine mehr von Richard Wagner. Zu aufwändig scheint das geworden, man überlässt die Dokumentation von Sängern und Inszenierungen ganz den ebenfalls schwindsüchtigen DVD-Distributoren. Doch drei Jahre nach seiner Aufzeichnung fand jetzt – dank eine Luxusbesetzung mit Jonas Kaufmann, Georg Zeppenfeld und erstmals Elīna Garanča – ein Wiener Live-„Parsifal“ unter Philippe Jordan seinen Weg in den Sony-Katalog.
Zum Raum wurde bei dieser Live-Aufnahme die Zeit in einem sehr speziellen Maß – ganz anders als sie sich Richard Wagner für sein letztes Opernopus, das Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ hätte erdenken können.
Knapp 139 Jahre nach seiner Uraufführung hatte das eigentlich dem Bayreuther Festspieltempel vorbehaltene Werk eine denkwürdige Premiere an der Wiener Staatsoper.
Kirill Serebrennikow inszenierte aus dem Hausarrest
Im Frühjahr 2021, kurz vor Ostern, wie es sich für die „Parsifal“-Tradition gebührt, inszenierte der russische Regisseur Kirill Serebrennikov – allerdings via Zoom von Moskau aus.
Er saß nämlich im Hausarrest, der gegen ihn als erklärten, heute im Berliner Exil lebenden Putin-Regimegegner verhängt worden war. Und in der Wiener Oper gab es kein Publikum, die Pandemie hatte es in den zweiten Lockdown getrieben. So fand dies alles nur vor den ORF-Mikrophonen und -Kameras statt.
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Trotz fehlendem Publikum eine Aufnahme mit Wucht
Gleichwohl sang der Staatsopernchor balsamisch und mit Wucht. Ebenso flüssig, mit bronzenem Klang und feiner Helle spielte das Staatsopernorchester – auf den Podien der Welt als Wiener Philharmoniker zu Hause – unter seinem zupackend souveränen Chef Philippe Jordan.
Schön, dass sich Sony jetzt immerhin entschlossen hat, den Soundtrack für seinen Haustenor Jonas Kaufmann als edelverpacktes 4-CD-Album zu veröffentlichen.
Videofassung wäre noch besser gewesen
Die Videofassung der packenden Aufführung wäre freilich noch besser gewesen. Denn nicht nur gab die auch darstellerisch tolle Elīna Garanča hier ihr Kundry-Debüt. Sie sang zudem luxuriös die „Stimme von oben“ im ersten Gralstempelfinale.
Ein wenig von der melancholisch-mythischen Stimmung in dem leeren Opernhaus scheint sich auch durch diese überdurchschnittlich guten, aus mehreren Proben und der zunächst ersten und einzigen Covid-Aufführung montierte Einspielung zu ziehen.
Parsifal eine gute Jonas-Kaufmann-Rolle
Gleichwohl brennt auch hier die Luft, wenn Garanča-Kundry den willigen Kaufmann-Parsifal verführt. Und der antwortet – als reiner Tor natürlich entsetzt – mit seinem charaktervoll baritonalen Timbre.
Parsifal ist eine gute Jonas-Kaufmann-Rolle im vorgerückten Alter. Und so singt er kontrolliert und klar die kürzeste aller Wagner-Titelpartien.
SWR2 Zur Person Der Tenor Jonas Kaufmann
Jonas Kaufmann sei der "wichtigste und vielseitigste Tenor seiner Generation", so die New York Times. Deutschlands bekannteste Opernsänger ist ein echtes Münchner Kindl. Zu Hause ist Kaufmann auf den großen Bühnen wie der Metropolitan Opera, dem Londoner Royal Opera House oder der Bayerischen Staatsoper und er liebt Wien. Er pflegt ein breites Repertoire von der Oper und Operette bis zum Wiener Lied und italienischen Evergreens. Darüber, sowie über Triumphe und Krisen, den Opernbetrieb und vieles mehr, erzählt er im Gespräch.
Sänger-Ensemble überzeugt weitestgehend
Garanča, nicht minder klug, gefällt in der Textausdeutung, mit sexy Höhen und gurrender Mittellage. Neuerlich zum Niederknien intoniert in fließend wortdeutlichem Silberdunkelbass der verlässliche Georg Zeppenfeld den Gralshüter Gurnemanz.
Edel besetzt ist zudem der Amfortas mit Ludovic Tézier. Deutlich abgesungen tönt hingegen der Klingsor von Wolfgang Koch.
Aufnahme mit diskographischem Ewigkeitswert
Im Verlauf dieser vier Musikstunden verweigert sich Philippe Jordan jeglicher Andacht und (Schein-)heiligkeit, nach etwas zähem Vorspiel wird hurtig und sachlich klangfein vorwärtsdirigiert.
Bis nach abgeklärtem Karfreitagszauber und zweiter Gralsenthüllung, doch noch dem Bühnenerlöser die Wagner-Erlösung gewährt wird. Ein neuer, modern sachlicher, durchaus lohnender „Parsifal“ also, der nicht nur Covid-Memento ist, sondern diskographischen Ewigkeitswert beanspruchen darf.