Taiwan, Südkorea, Japan

Klassik in Fernost: Moderne Musiktempel für Mozart und Beethoven

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Autor/in
Claus Fischer
Onlinefassung
Dominic Konrad

Asien liebt klassische Musik aus Europa. In Taiwan und in Südkorea ist eine ganze Reihe neuer Konzertsäle entstanden, die es in puncto Akustik und Design mit modernen Sälen im Westen aufnehmen können. Auch deutsche Orchester reisen nach Corona wieder regelmäßig nach Fernost. Beobachtungen aus Japan, Taiwan und Südkorea.

Taiwaner haben Berührungsängste mit klassischer Musik

Wie ein buddhistischer Tempel sieht sie aus, die 1987 eröffnete National Concert Hall in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan. Aber nur von außen, denn der große Saal ist hypermodern.

Auf der Bühne musiziert das Evergreen Symphony Orchestra unter Leitung seines deutschen Chefdirigenten Gernot Schmalfuss. Es spielt Tschaikowskis Blumenwalzer, gängiges Weihnachtsrepertoire. Finanziert wird dieses Orchester zu 100 Prozent von einer Schiffsrederei, einem der finanzstärksten Konzerne des Landes.

Die Konzerthalle in Taipei City (2022)
In direkter Nachbarschaft zum Denkmal für Taiwans früheren Präsidenten Chiang Kai-shek wurde die National Concert Hall erbaut.

Im Publikum sitzt Hsin-Tien Lee. Sie ist Anfang 50 und arbeitet für die „China Times“, eine von vier großen Tageszeitungen in Taiwan. Ich frage sie, ob sie das Konzert rezensieren wird? Sie schüttelt den Kopf. In Taiwan veröffentlichen die Zeitungen keine Musikkritiken mehr, so die Journalistin: „Heute hat es die Branche schwer, so wie überall in der westlichen Welt. Und da kommen solche Dinge leider unter die Räder.“

Dennoch, betont die studierte Musikwissenschaftlerin, schreibe sie selbstverständlich über klassische Musik. Sie schreibe über Kompositionen und mache Künstlerporträts. „Ich möchte die Musik und diejenigen, die sie machen im Profil zeigen, damit das Hörerlebnis tiefer wird“, so Hsin-Tien Lee, „denn die große Mehrheit der Bevölkerung hat starke Berührungsängste mit diesem Thema.“

Südkorea feiert klassische Musiker wie Popstars

Hier hat Taiwan noch Nachholbedarf, stellt auch Tobias Haupt fest. Er ist Geiger im Leipziger Gewandhausorchester und mit einer Geigerin aus Südkorea verheiratet. Dort, so seine Erfahrung, spielt Klassik eine stärkere Rolle im gesellschaftlichen Leben. Viele Koreanerinnen und Koreaner studieren in Europa und Amerika klassische Musik.

„Es gibt mittlerweile auch hier sehr viele Orchester“, sagt Haupt. „Und es gibt mittlerweile auch viele ganz herausragende koreanische Musiker, die auf der ganzen Welt gastieren.“

Der koreanische Pianist Seong-Jin Cho und  Sir Simon Rattle im Rahmen einer Pressekonferenz der Berliner Philharmoniker in Hong Kong (2017)
Der 29-jährige Pianist Seong-Jin Cho, hier bei einem Konzert in Hongkong mit Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern im Jahr 2017, gehört zu den jungen Talenten der koreanischen Klassikszene.

Der derzeit wohl bekannteste südkoreanische klassische Musiker ist der Pianist Seong-Jin Cho, der mit exzellenter Technik und großer Musikalität das Publikum begeistert. Er wird in seinem Heimatland wie ein Popstar gefeiert.

Das beobachtet auch Tobias Haupt: „Man hat hier tatsächlich den Eindruck, dass die Stars der klassischen Musik sehr bekannt sind und gefeiert werden. Das war in Deutschland vielleicht in den 1980er- und 1990er-Jahren mit Anne-Sophie Mutter so. Also die Begeisterung ist erstaunlich!“

Ältere Japaner begeistern sich für Mozart, Bach und Beethoven

Vielleicht ist es ja eine Frage der unterschiedlichen Mentalität: In Japan wird die Begeisterung für die Protagonisten der dortigen Klassikszene nicht so überschwänglich artikuliert wie in Korea. Das mag aber auch daran liegen, dass hier die europäische klassische Musik wesentlich länger etabliert ist als in Taiwan oder Südkorea, nämlich schon seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Seiji Ozawa und Martha Argerich bei einem Konzert im Mai 2017 in der japanischen Stadt Oita.
Alles andere als ein Newcomer: Seiji Ozawa erlangte in den 1960er-Jahren Weltruhm. Das Bild zeigt den japanischen Dirigenten bei einem Konzert mit Martha Argerich im Mai 2017 in der japanischen Stadt Oita.

So stellt sich die Situation ähnlich wie in Deutschland dar. Shozo Iwanaga, Chefredakteur der größten und traditionsreichsten japanischen Klassikzeitschrift „Der Musikfreund“.

Der weitaus größere Teil des Publikums seien ältere Menschen, ab 60 aufwärts, sagt Shozo Iwanaga. Aber es sei sehr interessant, dass man vor 50 Jahren auch schon die Überalterung des Publikums beklagt habe. Vielleicht sei es so, dass das Interesse für klassische Musik erst ab einem gewissen Alter überhaupt aufkomme. 

Und welche Komponisten sind beim japanischen Publikum beliebt? Vor allem deutsche und österreichische, betont Iwanaga: Bach Beethoven und Mozart. In der Klaviermusik aber auch der polnische Komponist Chopin. Das sei schon immer so gewesen, seit die europäische Musik in Japan Fuß gefasst hat.

Das SWR Vokalensemble widmet sich japanischen Komponisten

Zeitgenössische Musik aus Europa interessiert kaum

Diese Vorlieben sind auch in Taiwan und in Südkorea zu beobachten. Aus der Epoche der Spätromantik spielen Richard Wagner und Anton Bruckner noch eine gewisse Rolle. Die europäische Klassik des 20. Jahrhunderts wird dagegen kaum goutiert.

Das fällt auch beim Betrachten der Spielpläne der Orchester auf. Die enthalten immerhin auch zeitgenössische Musik, allerdings fast ausschließlich von asiatischen Komponistinnen und Komponisten.

Die sprichwörtliche Begeisterung des koreanischen Publikums, betont der Musiker und Kenner des Landes Tobias Haupt, ist tatsächlich bei Beethoven besonders spürbar. „In meiner Wahrnehmung ist die Begeisterungsfähigkeit im Allgemeinen hier sehr hoch, für ganz verschiedene Dinge, für Musik, für Essen, für was auch immer.“ Es gebe, meint Tobias Haupt, einen durchaus sehr emotionalen Zugang zu vielen Dingen.

Klassische Musik aus Fernost

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