Donaueschinger Musiktage 2001 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2001: "El Jardin de senderos que se bificuran"

Stand
Autor/in
Ana Maria Rodriguez

Ana Maria Rodriguez

"Der Garten der Pfade, die sich verzweigen"

Die Beobachtung des maschinellen Verhaltens und der Umgang der Menschen mit eben diesen Maschinen sind häufige Themen in meiner Musik. Computer als elektronische Datenverarbeitungsmaschinen lassen sich in verschiedenen musikalischen Applikationen nutzen, z.B. zur Klangerzeugung oder zur algorithmischen Komposition etc. Ich betrachte den Computer als eine Hyper-Maschine im doppelten Sinn: geeignet für "multiple use" und "multitasking". Im Unterschied zu Musikinstrumenten können Computer verschiedenste Aufgaben bearbeiten, wenn nötig auch gleichzeitig. Für mich persönlich haben sie außerdem einen grundlegenden ambivalenten Aspekt. Das binäre System des Computers korrespondiert mit der Produktionsebene; es emphatisiert banale Prozesse wie Repetition, Simplifikation und Eindimensionalität auf der Grundlage von short messages. Aus der Automatisierung, dem unmittelbarsten, einfachsten und schnellsten Modus bei Computern, resultieren sofort die Produktion und Reproduktion. Es entsteht das Modell der reduktiven Simulation, das Ambivalenz und Reziprozität ausschließt. Durch Produktion und Reproduktion (die gebräuchlichsten und direktesten Modi beim Komponieren mit Computern) können wir schnelle Resultate erzeugen, die mit der Trivialität und Vulgarität der Massenproduktion verbunden sind. Aber es ist gerade dieser banale Aspekt, der mich nicht nur künstlerisch interessiert und meinen Widerstand herausfordert, sondern der im unkonventionellen, komplexeren Kontext vielleicht etwas Neues mitbringen könnte.

So suche ich stets nach konnotativen, weniger evidenten Aspekten, um die Dominanz des produktiven Objektcharakters zu ersetzen. In diesem Zusammenhang überdenke ich die Position des Raumes und des Instrumentalisten neu, die mit der Materialfrage korrespondieren. Beim direkten digitalen Modellieren von Klang befinde ich mich in einem wirklichen Primärstadium, da, wo das Material gestaltet wird und neue Relationen entstehen. Standardlösungen der Industrie, wie wir sie beispielsweise von der Positionierung der Lautsprecher als Stereo- oder Quadrofonie kennen, erweisen sich allzu oft als unbefriedigend. Die Klangadressierung im Raum gestalte ich in metaphorischer Äquivalenz zur Computerprogrammierung, indem schon auf primärem Level Klang und Präsentationsort verbunden werden. In der Instrumentalpraxis liegt das Pendant im Improvisationsbereich, wo "naive Instrumentalisten" quasi ohne die Belastung von Verhaltenscodes und Konventionen des traditionellen Musikbetriebes agieren. Gewissermaßen sind auch sie auf der unmittelbaren Suche nach dem Klang und arbeiten in diesem Sinne im Primärbereich. Die Rolle des Instrumentalisten in meinen Werken ist die eines Soundoperators. Integriert als gleichberechtigter Teil eines nicht hierarchischen Netzwerkes ist er im kontinuierlichen Feedback mit dem Computer tätig. Die Gestaltung und Wahl der für diese Kommunikationsprozesse notwendigen interaktiven Interfaces folgt der räumlichen Präsentationsidee einer Komposition. Dieses Stadium ist noch rudimentär, es erfordert die Suche nach neuen expressiven Sprachen, Modellen und interaktiven Metaphern. Es handelt sich um eine sehr kreatives, vom historisch-kulturellen Kontext befreites mehr dimensionales Feld, in dem vielfältige Beziehungen möglich sind. Die für die Programmierung notwendigen neuen Modelle (denn Computer sind auf externe Programmierung angewiesen) sind mit einer Beobachtung zweiter Ordnung im Luhmannschen Sinne (nicht, was Programme objektiv machen, sondern wie sie beobachtet werden) verbunden. Durch diese Dialektik zwischen Modell und Beobachtung höherer Ordnung, zwischen in- und output, kann Individualität in einem Modell präsent werden.

Das Erreichen und die Überwindung der Beschränkung, die z.B. durch die nach Effizienz und Funktionalität gestalteten Progammiersprachen entsteht, wird so beim Komponieren zu einem faszinierenden Objekt. Entgegen der absoluten Eindeutigkeit und Lesbarkeit von Signifikant und Signifikat suche ich nach konnotativen Aspekten, die verschiedene Lesarten ermöglichen.

J.L. Borges und die Bibliothek: ein Klischeepaar, das mir die Dachgeschossstruktur der F.F. Bibliothek sofort suggerierte. Ihre paradoxe Konstruktion, verwinkelt und trotzdem offen, eignet sich als räumlich begehbare Metapher für ein Zeitkonzept, wie es Borges in seiner Erzählung Der Garten der Pfade, die sich verzweigen fixiert. Gleich einem Hypertext verzweigt sich das Geschehen unter der Oberfläche, das selbst paradoxe Verläufe wie selbstverständlich zeitgleich zusammenfügt. "Imkompossible Welten werden zu Varianten einer selben Geschichte. Natürlich gibt es verschiedene mögliche Lösungen. Im Werk kommen sämtliche Lösungen vor, jede einzelne ist der Ausgangspunkt weiterer Verzweigungen." *

Diese Idee des verzweigten Zufalls modellhaft simulierend versuchte ich, die Dominanz der Liniarität in der Musik zu überwinden und zeitliche Situationen in räumliche zu projizieren. Zwei Lesarten der Zeit, von "denen die eine sich nur aus verschachtelten Gegenwarten zusammensetzt und die andere sich nur in in die Länge gezogene Vergangenheit und Zukunft zerlegen lässt" **, wurden strukturell bestimmend für die Komposition. Sie ist Christian Merscheid und Amanda gewidmet.

* Gilles Deleuze: Logik des Sinns, suhrkamp 1993
** Gilles Deleuze: Logik des Sinns, suhrkamp 1993

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Autor/in
Ana Maria Rodriguez