Donaueschinger Musiktage 2004 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2004: "The European Sculture - Neuropäisch"

Stand
Autor/in
Wolfgang Siano

The European Sculpture – Neuropäisch basiert u.a. auf Material der Installation Contract Tendencies, die im Jahr 2000 zu den Donaueschinger Musiktagen entstand. Es handelt sich um eine Version für das Medium CD-Rom.

Klang als Metapher

Wer vom Klang als Metapher schreibt, schafft damit selbst schon wieder ein Sprachbild, das wie neu eröffnete Dateien zur beliebigen Verfügung gestellt ist, wie ein Buchtitel, der in Promotionsabsicht möglichst weitmaschig alle in einer bestimmten Art von Netz sich verstrickende Assoziationen einsammeln möchte. Wer hingegen vom Klang als Metapher spricht, erzeugt einen unverwechselbaren Ton in und aus einer Folge von Klangereignissen, in der die Klangstruktur selbst zur Metapher dieses Tons wird, dessen akustische Eigenart in der Wahrnehmung solcher Wechselseitigkeit sowohl dem Wort wie dem Bild jene Bestimmtheit des Lebendigen vermittelt, die die Anschaulichkeit des Bildes von sich aus möchte.

Das freie Fließen der Metaphern erzwingt inmitten ihres Überflusses neue Formen der Genauigkeit, des Einspruchs gegen ihre Leere aus der Nähe sinnlicher Erfahrung. Der Ton gilt als Stoff des Lebens, beatmet ist er Zeugnis ursprünglicher Schöpfung und von daher als Metapher weitgespannt vernetzt. Thomas Schulz hat ihn beim Wort genommen, als Klangbild der legendären Taschen, die in den Anfängen des Europäischen Parlaments die tragbaren Büros der Abgeordneten darstellten. Es ist die Tasche des ehemaligen, für die Parlamentsneubauten zuständigen Vizepräsidenten des Europaparlaments, Hans Peters, die Thomas Schulz in einen eigenen Prozess des Zusammenspiels von Sprachklang, Klangbild und Bildsprache innerhalb seines Produktionskonzepts The European Sculpture übersetzt hat.

Als Tonträger ist die Tasche sowohl Gehäuse des akustischen Protokolls ihres Gefertigtwerdens wie auch realer Träger der Mikrophone, die, in vielkanaliger Begegnung gegenständlich in der Tasche versammelt, die Stimmen der Abgeordneten im Procedere ihrer politischen Funktionen – des Argumentierens und des Abstimmens – als Lautsprecher zu Gehör bringen. Der Klang des Tons und der Ton der Klänge sind konzeptionell so aufeinander bezogen, dass aus ihrer Differenz ein Zusammenhang abgeleitet werden kann, der den gesellschaftlichen Raum des Prozesses der sich bildenden politischen Realität Europa in seinen sich verändernden Gegebenheiten immer wieder neu thematisieren kann.

Die Metapher als Wort repräsentiert die visuelle Dimension, das Sprachbild der abstrakten Zeichenstruktur der Welt, ebenso wie deren akustische Dimension im Tonfall des Sprechens. Der Gebrauch der Metapher zielt auf das Ungreifbare, Verrückte; er transzendiert und unterläuft die kurzschlüssigen und statischen Implikationen etablierter Symbole und Repräsentanten. Die Metapher ist das Medium der Verschiebung und Transformation der Macht der institutionalisierten Öffentlichkeit von Medien, sie macht Zwischentöne und Bildstörungen hörbar und einsehbar und stellt sich darin als ungreifbare Wirklichkeit selber dar.

In diesem Sinn begegnen uns die Taschen bildsprachlich wieder auf der Eröffnungsseite der CD-Rom Neuropäisch, die in digitalisierter, zum Teil interaktiver Form verschiedene Assoziationsströme aus dem überfließenden, im Register ausgewiesenen Material von Begegnungen, Situationen und Projekten an Thomas Schulz Arbeitsplatz Europa künstlerisch zugänglich machen. Die Transformation der Medien als Datenträger – vom Büro in der Tasche zur Computerisierung – modelliert zugleich die alltäglichen Erfahrungsmodi repräsentativer politischer Willensbildung: Die stoffliche Präsenz des Tons wird als Metapher des physischen Daseins der Repräsentanten zum Klangbild sowohl der Mechanismen der Macht wie ihrer bildsprachlichen Realität.

Die Transformation der Medien beschleunigt und vervielfältigt den Prozess fortwährender Instrumentalisierung, d.h. sowohl die gewollte wie die nicht gewollte unkontrollierbare Auflösung und Erweiterung der Bedeutungszusammenhänge von Sprache, Klang und Bild. Mit seiner Arbeit versteht sich Thomas Schulz als Teil dieser Entwicklung. In ihr und in Bezug auf sie organisiert er Möglichkeiten der Intervention, die immer wieder auf die Alltagsstruktur der Klänge als sinnlicher Dimension der sie transzendierenden und dadurch auf sie zurückverweisenden metaphorischen Anschauung zielen. Die CD-Rom Neuropäisch vernetzt nun das akustische und visuelle Material seiner Aufzeichnungen so mit ihrem schriftlichen Register, dass es sich als eine assoziative Folge von perspektivisch verschieden montierten Erzählungen aus elf verschiedenen Taschen neu zusammenfügt.

Im Rahmen der Donaueschinger Musiktage 2000 brachte Thomas Schulz in der Reithalle und der Anspannhalle des Fürsten zu Fürstenberg die Mikrophonie Contract Tendencies zur Aufführung. Die in diesen Räumen überlieferten Inszenierungen kleiner und großer Jagdtrophäen aus heimischen wie überseeischen, gewissermaßen globalisierten Wildbeständen wurden durch Bearbeitungen der Abstimmungsstimmen von Parlamentariern des Europäischen Parlaments wie vom Geklapper Straßburger Störche, einer Gattung von Vorfliegern der Globalisierung, akustisch und teilweise visuell überlagert.

Zwischen dem vorhandenen Globus unter dem Nashornkopf, den ein Storch in der Kuppel über ihm unermüdlich durchquerte, dem Geweih und Gehörn im Durchgang zur Reithalle sowie den dort mikrophonisch versammelten, vielsprachig tönenden Parlamentariern war ein Erfahrungskontext metaphorischer Überschneidungen und Entsprechungen entstanden, der in sich, als begehbares Bild, auch eine Transformation von Herrschaftsformen vergegenwärtigte. Wir begegnen ihr wieder – akustisch, bildlich und metaphorisch – in ebenso subtilen wie grundlegenden Variationen der Datenströme auf der CD-Rom Neuropäisch.

Stand
Autor/in
Wolfgang Siano