Werke des Jahres 2002

Radio Fractal - Beat Music

Stand
Autor/in
Reinhard Kager

Wolfgang Mitterer

Auch Wolfgang Mitterer hat in den letzten Jahren den Reiz der unerschöpflichen Möglichkeiten elektronischer Sounds entdeckt: Ursprünglich als Keyboarder aus der experimentellen Jazzszene stammend und zwischenzeitlich immer wieder auch als Komponist tätig, fließen im Ouevre des aus Lienz in Osttirol stammenden Musikers Komponiertes, Improvisiertes und Elektronisches ineinander.

"Radio Fractal  Beat Music"
"Radio Fractal / Beat Music"

Nicht zufällig liegt seiner fast zweistündigen Performance mit dem Titel "Radio fractal - Beat Music" ein strukturelles Gerüst zugrunde: Entlang eines exakt 1°54' dauernden Timecodes finden die sieben, überwiegend aus Österreich stammenden Musiker exakte Spielanweisungen: Dynamische Vorschriften, Vorgaben der Beatstruktur, Bestimmungen des jeweiligen Solisten. Was die einzelnen Musiker dann spielen, bleibt freilich ihrer improvisatorischen Phantasie überlassen. Allerdings erzwingt ein von Mitterer im Studio vorgefertigtes Zuspielband, das in Mehrkanaltechnik über alle im Raum befindlichen Lautsprecher kreisen wird, eine genaue klangliche Abstimmung der Improvisationen.

Wobei diese Interaktion als durchaus dialektische konzipiert ist: Passagen, in denen das Zuspielband die führende Rolle übernimmt, werden abgelöst von solchen, in denen die Musiker zum dominierenden Faktor werden. Das gilt vor allem für den zweiten Teil des Stücks, den Mitterer nicht zufällig als "Beat Music" bezeichnet: Denn da übernimmt allmählich der Schlagzeuger mit signifikanten Rhythmen das Kommando.

Der erste, mit "Radio Fractal" betitelte Teil des Projekts, erweckt nicht zufällig Erinnerungen an die Theorie der Fraktale: "Dieses Nachfühlen von Welten, die nicht ganz genau kontrollierbar sind, war schon ein Ausgangspunkt für mich," erläutert Mitterer sein Konzept, das die Vorstellung erwecken soll, dass "man hundert Radios gleichzeitig einschaltet und hundert Menschen oder Musiker daran drehen lässt." Diesen ersten Teil vergleicht Mitterer mit einer fragilen Klanginstallation, so dass "man schön langsam über das hörspielartige Zuhören einer vielfältig strukturierten Klangwelt in ein Konzert hineinwächst, in ein Beatkonzert." Aber auch die Rhythmen, die in der "Beat Music" im zweiten Teil wirksam werden, sind nicht minder komplex: "Die Beats, die wir hier bieten, sind nicht einfach simple monochrome Beats wie im Techno. Wir arbeiten sehr viel mit Schichtungen: Ertönt ein simpler Rhythmus im Untergrund, wird sofort ein anderer Beat dazugeschichtet. Zu einem sehr technoiden Elektronikbeat kann der Schlagzeuger jederzeit eine triolische Uptime spielen, und schon haben wir eine Mischung zwischen jazzy Feeling und technoidem Feeling."

Auch in Mitterers Projekt macht der Zusammenprall der Klangwelten einen ganz besonderen Reiz aus: Schon die zugespielten Klänge sind nach Mitterers Aussage nur zu zwanzig Prozent aus rein synthetischem Material. Aus gutem Grund: "Rein digitales oder analog-synthesizerartiges Material hat ja das Problem, dass es aus meiner Sicht nicht so obertonreich ist oder etwas kalt, metallisch klingt. Mir geht es in der elektronischen Musik jedoch um Klänge, die in ihrer Obertonstruktur - wie das in der Natur permanent passiert - reichhaltig und schmutzig sind. Solche Naturklänge dann digital zu prozessieren mit neuartigen Softwares und Tools, das ist es, was wir Elektroniker momentan machen: Mixen und remixen von Naturklängen, denen ein bisschen rein synthetisches Material beimengt wird - das ist wie bei einem Koch mit seinen Ingredienzien."

Beigemischt ist Mitterers heißem elektronischen Ragout auch der Klang von Instrumentalisten: die tiefen Töne eines Basssaxophons, die Sounds einer E-Gitarre und die unerbittlichen Beats eines Schlagzeugs, das die "Beat music" so richtig zum Kochen bringt. "Wenn man am Schluss aufsteht und die letzten dreißig Minuten irgendwie mittanzt oder so, dann wäre die Idee erfüllt: Dass aus dem reinen Hörerlebnis, wenn die Klänge aus den Lautsprechern rundum kreisen, ein handfestes, rhythmisches Konzert wird." Womit sich am Ende von Mitterers Stück wie einst beim großen Miles Davis Elemente des experimentellen Pop, der neuen Elektronik und des Jazz akustisch die Hände reichen: Eine gewagte Grenzüberschreitung, aber das hat dem Jazz bekanntlich immer wieder neue Impulse versetzt.

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Autor/in
Reinhard Kager