Donaueschinger Musiktage 2009 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2009: "Pulsierende Klänge"

Stand
Autor/in
Elisabeth von Samsonow

Im Mittelpunkt der Arbeit von Bernhard Leitner steht der Ton als physikalisches und ästhetisches Objekt oder besser: als physikalische und ästhetische Sphäre. Die installativen Arbeiten, in denen der Künstler seit den siebziger Jahren kontinuierlich Ton und Raum untersucht, dienen konsequent dem Zweck der differenzierten leibhaftigen Erfahrbarkeit von Klang. Die modernen Versuche, den Betrachter in ein Kontinuum mit der ästhetischen Grammatik des Werkes zu integrieren, geschieht in Bernhard Leitners Werk durch die buchstäbliche Einfügung des Betrachter-Leibes in die Werkstruktur. In dieser Konstellation gehen Betrachter – hier als leibhaftig Hörender – und Installation eine sinnige Verbindung in der Weise ein, dass das Werk zur "Armatur der Sinne" (Hörisch) wird. Das leibliche Gehör wird so in Anspruch genommen, dass sich das Horchen einstellt, das erregte Lauschen.

In dieser Perspektive entfaltet sich der Sinn der neuen Arbeit Pulsierende Stille. Auf zwei einander gegenüber hängenden großen Walzblechen werden an den Außenseiten je ein Lautsprecherchassis an einem präzise bestimmten Punkt magnetisch befestigt. Diese übertragen eine Klang-Schwebung, d.h. eine Frequenzüberlagerung von 74 hz und 85 hz auf die dichte Struktur der Bleche. In diesem Schwingungsbereich registriert das menschliche Ohr nichts Hörbares. Die Bleche jedoch manifestieren die Invasion der Frequenz durch Vibrationen, die den Raum zwischen den Blechen holographisch zu definieren beginnen. Während sich diese Vibrationen von jenen Besuchern, die sich zwischen diesen Blechen befinden, als ein tiefes Pulsieren wahrnehmen lässt, herrscht außerhalb Stille. Kein Laut dringt hervor. Ein "begrenzter Klangraum ohne Begrenzung", was insofern auf den Hörer und Betrachter verwirrend und wunderbar wirkt, als Klang eigentlich charakterisiert ist durch seine wellenförmige Fortpflanzung oder Selbstmitteilung im Raum.

Die architektonischen und skulpturalen Maximen, welche die Kongruenz von Einfachheit, Funktion und Schönheit behaupten, hauchen Bernhard Leitners Installationen die Aura der Moderne ein. Diese wird von ihm als unabgeschlossen verstanden. In ihren technischen und ästhetischen Problemhorizonten, die einzigartig anspruchsvoll angelegt sind, befinden wir uns – wie Leitner meint – immer noch. Vielleicht ist das ein Anzeichen dafür, dass Bernhard Leitner, der seiner Zeit so lange voraus gewesen ist, jetzt langsam in ihr ankommt, bzw. umgekehrt: dass unsere Gegenwart jenen Quantensprung zu vollziehen im Begriffe ist, die diese Kunst zur zeitgenössischen macht. Dann hat das Zeitalter der Frequenzen wirklich begonnen.

Stand
Autor/in
Elisabeth von Samsonow