Donaueschinger Musiktage 2013 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2013: "Ringlandschaft mit Bierstrom / Donau"

Stand
Autor/in
Georg Nussbaumer

Den "Ring des Nibelungen" – Ehrfurcht gebietendes und visionäres Opern-Massiv des nach wie vor umstrittenen "Meisters" – kennt man. Der "Ring" ist Allgemeingut, jeder hat Bilder und Klänge im Kopf, Ungefähres.

RINGLANDSCHAFT MIT BIERSTROM will diese losen Vermutungen, Klischees und Musiksplitter evozieren und fortspinnen und setzt damit weit hinter der Frage an, wie und ob Wagner inszeniert werden kann, indem das Meisterwerk völlig aufgelöst wird, auch die Musik. Die Klavierreduktion des Orchesterparts – entkleidet von Sängern, Text und Instrumentation – wird zum Material, das neu gelesen wird – von vorne bis hinten. Aus der Tetralogie entsteht ein neues, ebenso überdimensionales Klanggebilde, das durch eine zeichenhafte, auf elementare Vorgänge im "Ring" verweisende Bühnen- und Aufführungsinstallation mäandert. Wagners Musik und Orte schimmern durch, Motive treiben vorbei, klären sich mitunter zur deutlichen Abschrift auf, die wieder in wuchernden Klängen versenkt wird oder in Stille verdunstet.

Acht Streicher hören den "Ring" über Kopfhörer und spielen aus Klavierauszügen "dazu". Diese Auszüge sind mit Tausenden von Inschriften "benotiert": Notationszeichen, die vorgeben, welche Texturen, Töne und Segmente auszuwählen sind, wie sie miteinander verbunden und instrumental verarbeitet werden. Anwendungen am Wagner-Material, mittels derer sich die MusikerInnen ihre Wege durch den Notenwald bahnen: ein "play along", bei dem das Gehörte und das Gespielte völlig auseinanderdriften.

Das entstehende Klangmaterial wird von den Instrumenten abgenommen und – gesteuert von einer midi-Version des "Ring", also wieder durch Wagner selbst – durch eine Reihe von elektronischen Filterketten dem Klangstrom gleich wieder zugeführt; auch field-recordings fließen ein.

Wagner verschwindet unter einem Stapel von Abbildungen, Abschriften, Transformationen, Filterungen, steckt aber als treibende Energie hinter allem – die Kontrolle über das Ergebnis hat er jedoch verloren. Der Klavierauszug wird zur amorphen kompositorischen Materialhalde, die Infektion durch die Inschriften gebiert einen klingenden Mutanten.
Kurze Videosequenzen zitieren Wagners Landschaften und Architekturen herbei: Gewässer, Wälder, Felsen, Burgen, Hütten. Wir befinden uns in einer (nach)klingenden Ringlandschaft – weit hinter Wagners Schlussakkord. Spuren und Sedimente, Vermutungen und Einbildungen. Nebel breiten sich aus.

Stündlich gibt es eine Flasche Bier: Der "Vergessenstrank" des wie ein stummer Chor durch den Nebelsee zwischen den erhöht sitzenden MusikerInnen wandelnden Publikums begünstigt eine dumpf- dämmrige Stimmung im gemeinsamen Ringen der MusikerInnen und des Publikums mit der Erschöpfung. Die Brauerei als Ort der Verwandlung, der Gärung. Das Bier – wie Wagner und seine Wälder und Flüsse – ein deutsches Leitmotiv. Gegessen wird Spinat, zur Kräftigung. Was für Popeye the Sailor gut ist, ist auch für Siegfried gut – eisenhaltig hilft Spinat beim Schwerterschmieden und der "Ring" beginnt am Grunde des Rheins in "grünlicher Dämmerung".

Ebenfalls subaqual – wenn man den Kopf in eine der wassergefüllten "Wagnertonnen" steckt – kann man auch das Original hören: genau die Aufnahme, die die MusikerInnen gerade hören und verarbeiten.

Stand
Autor/in
Georg Nussbaumer