Plötzlich berühmt

Die Dirigentin Beatrice Venezi: Dank rechter Politik ein „Star“

Stand
Autor/in
Thomas Migge

In Italien und auswärts tritt seit Monaten oft eine Dirigentin ans Pult, die von einem Teil der italienischen Medien und von Regierungspolitikern als „internationaler Star“ bezeichnet wird. Doch wer hat schon einmal von Beatrice Venezi gehört? Von jener bildschönen Dirigentin – die sich nur „Dirigent“ nennen lässt und auch für Haarshampoo Werbung macht? Fakt ist: die junge Frau wühlt Italiens kulturpolitische Gemüter auf.

Lauter Protest nach Aufführung der Hymne an Rom

Zum 100. Todestag von Giacomo Puccini in diesem Jahr dirigierte Beatrice Venezi in Lucca seine „Inno a Roma” (Hymne an Rom). Er hatte sie 1918 zum Ende des ersten Weltkriegs geschrieben und sie ist in Italien nur sehr selten zu hören.

Das löste lauten Protest aus – denn die Hymne an Rom wurde von den Faschisten Mussolinis zwischen 1922 und 1945 ideologisch instrumentalisiert. Und auch von den italienischen Neofaschisten nach Kriegsende.

Italiener sollen „Frieden” mit dem Faschismus machen

Diesen Protest kann die Dirigentin nicht nachvollziehen, wie sie vor der Aufführung erklärte: „Diese Werk aufzuführen ist eine Einladung an die Italiener endlich ihren Frieden mit diesem Abschnitt ihrer Vergangenheit machen, und endlich bestimmte Vorurteile überwinden”.

Beatrice Venezi spricht vom italienischen Faschismus im Allgemeinen und auch den Vorurteilen gegen sie. Denn die 34-jährige Dirigentin weiß, was es mit Vorurteilen auf sich hat. Da geht es um politische, ideologische Vorurteile, die aber nicht von ganz ungefähr kommen.

Venezi eine Freundin von Giorgia Meloni

Venezis Vater kandidierte 2007 in Lucca für ein politisches Amt in den Reihen der rechtsradikalen Organisation Forza Nuova. Sie selbst macht keinen Hehl aus ihren politisch rechten und nationalistischen Ideen sowie ihrer Sympathie für die regierende und Orban-freundliche Partei Fratelli d’Italia. Frauen irritiert sie gern mit Äußerungen wie dieser:

Maestro wie auch das Wort Dirigent existiert nur in der männlichen Form. Und ich nehme mir deshalb das Recht heraus, mich Dirigent und nicht Dirigentin nennen zu lassen.

Das ist ganz im Sinn ihrer Freundin Giorgia Meloni. Auch die Chefin der Regierungspartei Fratelli d’Italia spricht von sich nur als „Ministerpräsident”.

Regierungsnah und plötzlich berühmt

Bis zur Regierungsübernahme von Meloni & Co. war Beatrice Venezi ziemlich unbekannt in Italiens Musikszene, erklärt der prominente Musikjournalist Alberto Mattioli.

Ganz plötzlich sei Venezi in aller Munde gewesen, aber nicht etwa wegen der Qualität ihrer Dirigate. Er selbst hatte sie, wie fast alle seiner Kollegen, nie dirigieren gehört, da sie eher wenig bekannte italienische Orchester in Provinzstädten dirigiert.

Mattioli bezeichnet dies als eine „Marketing-Operation”, die sie aus dem Gros der vielen Dirigentinnen ins Rampenlicht hieven sollte. Plötzlich galt Beatrice Venezi als bedeutende, als eine der – so regierungsnahe Medien seit Monaten – „international bekanntesten Dirigentinnen” überhaupt.

„Gott, Vaterland und Familie” als Mantra

Eine Blitzkarriere dank politischer Hilfe? Anscheinend. So dirigiert Venezi inzwischen vor allem in Theatern, die von politisch Gleichdenkenden geleitet werden, und auf Parteiveranstaltungen der Fratelli d’Italia.

Dort verkündet sie gern ihre Liebe zur Nation Italien und zur klassischen Familie. Ihr stets wiederholtes Mantra lautet: „Dio, patria e famiglia”, also: Gott, Vaterland und Familie.

Musikberaterin des Kulturministers

Kein Wunder also, dass Venezi zur Musikberaterin des Kulturministers ernannt wurde. Eigentlich keine schlechte Idee, endlich im Kulturministerium die Bedeutung der klassischen Musik aufzuwerten. Zumindest auf den ersten Blick.

Alberto Mattioli kritisiert das allerdings. In seinem neuen Buch zur Kulturpolitik der regierenden Rechten in Italien widmet er Venezia ein ganzes Kapitel. Er kommentiert:

Unser Kulturminister entschied sich unbegreiflicherweise nicht für zum Beispiel Riccardo Muti als Musikberater, der ja in Sachen Prestige wesentlich mehr vorweisen kann als diese Dirigentin.

Eine äußert schlechte Dirigentin?

Nicht nur wegen ihrer politischen Ansichten steht Venezi im Kreuzfeuer der Kritik – auch wegen der Qualität ihrer Dirigate. So erklärten beispielsweise vor einigen Monaten mehrere Orchestermusiker der Sinfonica Siciliana öffentlich – nach einem Konzert in Palermo –, dass Venezi schlichtweg nicht dirigieren könne.  

Es wäre für uns als Orchester einfacher gewesen wäre, wenn sie sich gar nicht präsentiert hätte.

Die Musiker hätten sich untereinander, so Sardisco, abgesprochen, um sich nicht von ihren Körpergesten, die „nicht der Musik entsprachen” irritieren zu lassen. Die Dirigentin drohte daraufhin mit einer Klage wegen Verleumdung, die aber bislang noch nicht eingereicht wurde.

YouTube-Video: Beatrice Venezi dirigiert Gustav Holst

Die Musikszene sei laut Venezi links unterwandert

Der Dirigentenkollege Vito Lo Reo sagt, dass Beatrice Venezi die Gemüter teile. Sie selbst erkläre das mit dem Umstand, dass sie eine Frau und eine politisch Rechte innerhalb einer von Männern und von Linken dominierten Musikszene sei. Ob das so stimmt, bezweifelt er, denn sie dirigiere ja häufig.

Aber das tut sie eben nur an kleinen Theatern und mit wenig bekannten Orchestern. Die mangelnde Wertschätzung durch die ihrer Meinung nach links unterwanderte Musikszene – wie etwa die Scala in Mailand, die MET in New York City und die Berliner Symphoniker – passt so gar nicht in das Image des „Weltstars”, als der sie in bestimmten politischen Kreisen Italiens gehandelt wird. 

Beatrice Venezi: Ein kulturpolitisches Phänomen

Tatsache ist, dass Beatrice Venezi zu einem kulturpolitischen Phänomen in Italien geworden ist. Für ein Italien, in dem die regierenden Rechten darüber entscheiden, wer zum Star, zum Museumsdirektor oder Theaterintendanten wird und wer nicht. Professionelle Qualitäten? Die zählen immer weniger.

Mehr zum Thema Dirigentinnen

Frauen in der Musik Die Dirigentinnen-Revolution: Diese Frauen erobern die Klassik-Welt

Sie sind jung, engagiert, musikalisch enorm versiert – und weiblich. Die neuen Stars der Klassik-Welt heißen Joana Mallwitz, Oksana Lyniv oder Marie Jacquot.

Buch-Tipp Dirigentinnen im Fokus – Warum die klassische Musik fundierte Machtkritik braucht

An den Musikhochschulen sind die Dirigierklassen zu 37 Prozent weiblich besetzt. Aber bei den 129 öffentlich finanzierten Orchestern in Deutschland stehen nur vier Frauen als Chefdirigentinnen am Pult. Ein neues Buch legt erschreckende Mechanismen eines durch und durch verkrusteten patriarchalischen Systems offen.

SWR2 Treffpunkt Klassik SWR2

Stand
Autor/in
Thomas Migge