Frauen in der Musik

Die Dirigentinnen-Revolution: Diese Frauen erobern die Klassik-Welt

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Autor/in
Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik

Sie sind jung, engagiert, musikalisch enorm versiert – und weiblich. Die neuen Stars der Klassik-Welt heißen Joana Mallwitz, Oksana Lyniv oder Marie Jacquot. Während immer mehr Dirigentinnen auf die Leitungsposten vorrücken, bleibt die Frage, ob die Zeiten, in denen Frauen am Dirigentenpult noch Exotinnen waren, wirklich vorbei sind.

Dirigentinnen auf dem Vormarsch

Marie Jacquot ist jung, energiegeladen und eine hochkonzentrierte Dirigentin. Am 26. Januar 2024 stellte sie der WDR als neue Leiterin seines Radiosinfonieorchesters vor. Die 34-Jährige wird damit die erste Frau auf dem Chefposten eines deutschen Rundfunkorchesters. Jacquots Ernennung ist die jüngste in einer langen Reihe von Meldungen über Dirigentinnen, die auf wichtige Positionen in der Klassikwelt und ihren altehrwürdigen Institutionen vorrücken.

Mit Oksana Lyniv dirigiert vor drei Jahren erstmals eine Frau in Bayreuth

So ist es gerade einmal drei Jahre her, dass Oksana Lyniv als erste Frau auf dem grünen Hügel von Bayreuth dirigierte. Nun werden es 2024 erstmals mehr Frauen als Männer sein, die beim Bayreuther Festspielorchester den Takt angeben: Neben Lyniv, die für den „Fliegenden Holländer“ zurückkehrt, dirigiert Nathalie Stutzmann den „Tannhäuser“ und Simone Young übernimmt für Philippe Jordan als Dirigentin des „Rings“.

Es verwundere sie immer wieder, wo Dirigentinnen überall noch immer „die Erste“ sein könnten, kommentierte Joana Mallwitz 2020 am Rande der Fernsehaufzeichnung von „Così fan tutte“ bei den Salzburger Festspielen. Die gebürtige Hildesheimerin dirigierte dort die Mozart-Oper – als erste Frau, der eine Premierenserie anvertraut wurde.

Diese Dirigentinnen stehen derzeit hoch im Kurs:

Oksana Lyniv dirigiert die Prager Philharmoniker (2023)
Oksana Lyniv machte zwischen 2013 und 2017 als Assistentin von Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper auf sich aufmerksam. Heute ist sie Leiterin der Oper Graz und des Teatro Comunale di Bologna. 2021 dirigierte die Ukrainerin in Bayreuth den „Fliegenden Holländer“ und damit als erste Frau die Premiere der Festspiele. Bild in Detailansicht öffnen
Joana Malltitz trat 2023 die Leitung des Berliner Konzerthausorchesters an.
Ihre erste Premiere dirigierte Joana Mallwitz am Theater Heidelberg, wo sie 2006 bei „Madama Butterfly“ einsprang. Nach Leitungspositionen in Erfurt und Nürnberg ist Mallwitz seit 2023 die künstlerische Leiterin des Konzerthausorchesters Berlin und damit die erste Chefdirigentin eines führenden Orchesters der Hauptstadt. Bild in Detailansicht öffnen
Susanna Mälkki dirigiert die New York Philharmonic in der Carnegie Hall (New York).
Susanna Mälkki dirigiert die bedeutendsten Orchester der Welt, darunter die New Yorker Philharmoniker, die Berliner Philharmoniker und das Concertgebouw-Orchester. Zwischen 2016 und 2023 leitete die Finnin das Philharmonische Orchester ihrer Heimatstadt Helsinki. Bild in Detailansicht öffnen
Mirga Grazinyte-Tyla dirigiert im Konzerthaus Dortmund (2017)
Mit 29 Jahren wurde die Litauerin Mirga Gražinytė-Tyla als Nachfolgerin von Andris Nelsons Chefdirigentin des City of Birmingham Orchestra. Sie ist die erste Frau an der Spitze des renommierten britischen Orchesters. Zuvor war die Schülerin von Kurt Masur unter anderem Zweite Kapellmeisterin am Theater der Stadt Heidelberg. Bild in Detailansicht öffnen
Simone Young dirigiet das Orchester des Hamburger Opernhauses (2009)
Die Australierin Simone Young startete ihre Dirigentinnenkarriere 1985 an der Oper Sydney. Nach Assistenzen bei James Conlon in Köln und Daniel Barenboim in Berlin und Bayreuth war sie 2005 bis 2015 in Personalunion Intendantin und Generalmusikdirektorin der Hamburger Staatsoper. Bild in Detailansicht öffnen
Barbara Hannigan mit der Prager Philharmonie beim Strings of Autumn Festival 2013
Erfolgreich als Sopranistin auf der Bühne und als Dirigentin im Orchestergraben: Barbara Hannigan gab ihr erstes Dirigat 2010 am Pariser Théâtre du Châtelet mit Strawinskys „Renard“. Ihren Schwerpunkt legt Hannigan dabei auf die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Bild in Detailansicht öffnen
Das Minnesota Orchestra unter der Leitung von Nathalie Stutzmann (2017)
Auch Nathalie Stutzmann startete ihre Karriere als Opernsängerin. 2008 gab sie auf Einladung ihres Mentors Seiji Ozawa ihr Debüt als Dirigentin. 2022 übernahm sie den Posten der Musikdirektorin des Atlanta Symphony Orchestra. 2023 gab sie ihr Debüt mit zwei Mozart-Opern an der Met in New York und mit „Tannhäuser“ in Bayreuth. Bild in Detailansicht öffnen
Alondra de la Parra dirigiert das Orquesta Filarmonica de las Americas (2019)
Mit 23 Jahren gründete Alondra de la Parra das Philharmonic Orchestra of the Americas. Zwischen 2017 und 2019 war die Mexikanerin Chefdirigentin des Queensland Symphonic Orchestra, in Deutschland dirigierte sie unter anderem die Sächsische Staatskapelle und die Sinfonieorchester des HR und des WDR. Bild in Detailansicht öffnen
Xian Zhang dirigiert das European Union Youth Orchestra beim Rheingau Musikfestival 2015
Mit 19 Jahren gab Xian Zhang ihr Debüt mit Mozarts „Hochzeit des Figaro“ an der Chinesischen Nationaloper in Beijing. Ihr Album „Letters for the Future“, gemeinsam mit dem Philadelphia Orchestra, wurde 2023 mit zwei Grammys ausgezeichnet. Bild in Detailansicht öffnen
Emmanuelle Haim bei der Verleihung des "Echo Klassik 2004"
Die französische Cembalistin Emmanuelle Haïm begann als Assistentin von William Christie beim Ensemble Les Arts Florissants. Als Dirigentin gründete sie im Jahr 2000 mit Le Concert d'Astrée ihr eigenes Barockensemble. Haïms Schwerpunkt liegt auf der Musik des Barock, vor allem bei Händel, Purcell und Rameau. Bild in Detailansicht öffnen

Die Zeit der Pultdiktatoren ist vorbei

Im vergangenen Herbst trat Joanna Mallwitz unter Jubel der Öffentlichkeit die künstlerische Leitung des Berliner Konzerthausorchesters an. Während die Staatsoper von Daniel Barenboim Abschied nimmt und sich mit Christian Thielemann im September 2024 nur geringfügig verjüngt, feiert die Hauptstadt Mallwitz als den nötigen frischen Wind im Berliner Klassik-Betrieb. Sie stelle eine Antithese zum althergebrachten Maesto-Kult dar, so das Urteil der Kritiker*innen.

Der „Maestro“ am Pult ist das Mensch gewordene Symbol für eine Kultur, mittels derer sich diejenigen, die über die größte gesellschaftliche Macht verfügen, in ihrer Macht bestätigen und die über Generationen gewachsenen Machtverhältnisse vor sich selbst legitimieren.

Ohne Zweifel: Junge Frauen wie Mallwitz, Lyniv und Jacquot stehen an vorderster Front eines Paradigmenwechsels innerhalb der Klassikszene. Die Zeit der großen Pultdiktatoren scheint vorbei, Orchester von heute suchen Leitungspersonal, das Dialog auf Augenhöhe erlaubt. Und in diesem Umbruch nehmen gerade auch junge Dirigentinnen eine besonders wichtige Rolle ein.

Noch lange keine Gleichberechtigung im Klassik-Betrieb

Auch wenn die größere Sichtbarkeit für Frauen am Dirigierpult sehr zu begrüßen ist: Bis zur Gleichberechtigung in der Klassik ist es noch ein weiter Weg. Über Jahrhunderte war die Welt der Berufsmusik nur wenig durchlässig für Menschen, die nicht weiß und männlich waren. Das wirkt bis heute fort.

Noch immer stehen vornehmlich Werke männlicher Komponisten auf den Spielplänen von Orchestern und Opernhäusern. Intendanzen, Solistenstellen im Orchester und leitende Positionen im Klassikbetrieb sind überwiegend von Männern besetzt, ebenso Gremien für Aufnahmeprüfungen an den Musikhochschulen und Jurys für renommiere Wettbewerbe.

Weniger als zehn Prozent der Führungspositionen von Berufsorchestern waren 2019/2020 in weiblicher Hand, heißt es in einem Bericht des Archivs Frau und Musik aus dem Jahr 2021.

Auch in der Ausbildung bleibt das Dirigieren weitestgehend in Männerhand: Nur 36% der Studierenden im Fach Dirigieren waren im Wintersemester 2020/21 weiblich – ein Wert, der vergleichbar ist mit dem Frauenanteil vor 20 Jahren, schreibt das Deutsche Musikinformationszentrum unter Berufung auf das Statistische Bundesamt.

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Gekommen, um zu bleiben

Auch wenn die Mühlen im Klassikbetrieb schmerzlich langsam mahlen, sie mahlen immerhin. Für die Dirigentinnen der Stunde ist das bei Begegnungen mit der Presse mit der immer wieder gleichen Frage verbunden: Wie fühlt es sich an, als Frau in einer Männerdomäne zu arbeiten?

Damit sich mehr Frauen für den Sprung in die leitenden Positionen der Berufsmusik vorwagen, braucht es mehr Normalität, weibliche Vorbilder und Netzwerke. Vor allem aber sollte man aufhören, Dirigentinnen als Exotinnen im Klassikbetrieb zu analysieren und ihrem Dirigat eine „weibliche Komponente“ zuschreiben zu wollen.

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Das betont auch Simone Young. „Ich glaube, wir machen grundsätzlich einen Fehler, indem wir Männlichkeit mit Stärke verbinden und Weiblichkeit mit Sensibilität“, so die international erfolgreiche Dirigentin. „Jeder Künstler braucht Stärke und Sensibilität, egal ob es Mann oder Frau ist.“

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