Sie hat nur selten eine Sonate von Ludwig van Beethoven im Konzert aufgeführt, doch ihre Faszination für diese Musik ist sehr groß. Dann kam Corona und auch für Beatrice Rana die Zeit zu intensiven Studien. Ergebnis dieses Lockdown-Lernens ist die Auseinandersetzung mit Beethovens größter, längster und schwierigster Sonate, der sogenannten „Hammerklavier“-Sonate. Die hat sie jetzt auf ihrem neuen Album eingespielt, zusammen mit einer der Sonaten von Frédéric Chopin.
Die wohl anspruchsvollste Beethoven-Sonate
Das so simpel erscheinende Intervall einer Terz – Ludwig van Beethoven baut um dieses Kernmotiv, eingebettet in wuchtige, orchestral wirkende Akkorde, den monumentalen ersten Satz seiner so genannten „Hammerklavier“-Sonate. Im Gegensatz dazu: ein kurzes lyrisches Nebenthema.
In weniger als zwei Minuten durchschreitet Beatrice Rana bereits die äußeren dynamischen Randzonen dieser wohl anspruchsvollsten aller 32 Beethoven-Sonaten.
Beatrice Rana untermauert ihre Ausnahmequalitäten
Scheu? Keineswegs. Das mag zunächst überraschen, schließlich hat Rana zuvor noch keine einzige dieser Sonaten aufgenommen; und jetzt erstürmt sie gleich den höchsten Gipfel – und das mit einem erstaunlichen Gespür für die dramaturgischen Prozesse dieser Musik.
Man könnte 50 Pianistinnen und Pianisten davor warnen, die Auseinandersetzung mit Beethovens Sonaten ausgerechnet mit dieser B-Dur-Sonate op. 106 zu beginnen, und gefühlt würden 49 von ihnen damit scheitern.
Es spricht für die Ausnahmequalitäten von Beatrice Rana, dass sie diese Herausforderung mitnichten nur irgendwie bewältigt, sondern mit diesem Album ihre Stellung als einer der herausragenden Pianistinnen unserer Zeit nachdrücklich untermauert.
Das „Adagio sostenuto“ – eine Herkulesaufgabe
Schon ihre Einspielung der „Goldberg-Variationen“ von Johann Sebastian Bach habe ich als bravourös empfunden, und nun beweist sie erneut Weit- und Durchblick bei diesem so sperrigen Werk.
Das Scherzo deutet sie keck, aber nicht überdreht. Danach wartet einer der geheimnisvollsten Sätze der gesamten Klaviermusik: das „Adagio sostenuto“.
Es ist ein Satz, der danach verlangt, Bögen spannungsvoll zu formen, eine Balance zwischen den einzelnen Stimmen zu finden, gleichzeitig gesanglich zu spielen und dabei die Extreme des Ausdrucks abzubilden – eine Herkulesaufgabe. Beatrice Rana wagt – und gewinnt.
Eine Aufnahme mit Ausrufezeichen
Ihr Piano – mehr noch: ihr Pianissimo – ist geheimnisvoll. Rana deutet vieles an, spricht aber nicht alles aus. Der Satz atmet unter ihren Fingern und lässt zugleich in die Tiefe blicken. Subtil der Einsatz des Pedals, klar artikuliert ihr Anschlag, sonor im Bass, leuchtend im Diskant. Das alles ist bangend, nachdenklich und tröstlich zugleich.
Das Finale ist gespickt mit Trillern und Läufen, architektonisch zusammengehalten durch die Form der Fuge. Rana begnügt sich nicht damit, die Aufgabe rein technisch zu bewältigen. Sie ist vielmehr ihr eigener Dirigent: antreibender Motor und Übersichtswalter zugleich.
Spätestens jetzt ist klar: Rana hat sich nicht verhoben, sie setzt mit dieser Aufnahme ein Ausrufezeichen. Denn bei allem Gewicht, bei aller Kraft, die dieses Finale braucht, Rana bewahrt gleichzeitig eine gewisse Lockerheit: die Töne perlen.
YouTube-Video: Beatrice Rana spielt den 4. Satz aus Beethovens „Hammerklavier“-Sonate
Auch bei Chopin beweist Rana Augenmaß und Tiefsinn
Neben der „Hammerklavier“-Sonate hat Beatrice Rana auch die b-Moll-Sonate von Frédéric Chopin aufgenommen, die mit dem berühmten „Trauermarsch“.
Auch hier: Rana beweist Augenmaß und Tiefsinn. Ihr Spiel erinnert an Gesang, weil sie die einzelnen Phrasen abrundet, weil sie natürliche Übergänge erzeugt, weil sie dem Notentext Botschaften entlockt. Auch im geraunten, spukhaften Finale, aus dem einzelne Höhepunkte wie Leuchtkugeln herausragen, bevor kräftige Akkorde dem Irrlichtern ein Ende bereiten. In Summe eine sehr überzeugende Einspielung.
Weitere Beiträge über Pianistinnen
Musikstück der Woche Clara Schumann: Scherzo für Klavier Nr. 2, gespielt von Ragna Schirmer
Clara Wieck-Schumann war eine der gefeiertsten Pianistinnen des 19. Jahrhunderts. Ihre legendäre Virtuosität als Pianistin ist zwar verklungen, aber ihre Werke leben weiter.
Pianistinnen im Aufbruch Die Pianistin Harriet Cohen: Mit Albert Einstein im Duo
Harriet Cohen war eine bedeutende Pianistin des 20. Jahrhunderts. Sie ist immer wieder in einer illustren Runde gelandet: Mit Albert Einstein als Geiger hat sie im Duo gespielt oder war mit der First Lady Eleanor Roosevelt befreundet.