Schon für Zeitgenossen wie den Dirigenten Hans von Bülow war Bruckner „halb Genie, halb Trottel“. Die Anekdoten und vermeintlichen Fakten um diesen einsamen und oft unverstandenen Komponisten sind zahlreich – und teilweise mit Vorsicht zu genießen. Doch diese fünf kannten Sie vielleicht noch nicht:
- Von Frauen und „wasserdichten Unterkleidern“
- War er Hitlers Lieblingskomponist?
- Faszination Tod oder Nekrophilie?
- Bruckner x Seven Nation Army?
- Krankhafter Zählzwang
Musikstunde Anmaßend genial – Anton Bruckner zum 200. Geburtstag (1-5)
Mit Christoph Vratz
Von Frauen und „wasserdichten Unterkleidern“
Der streng gläubige Bruckner blieb Zeit seines Lebens Single, aber das eher ungewollt. Er schrieb Unmengen an Briefen und sogar Heiratsanträge, meist an sehr junge Frauen. Eine Schülerin von ihm, 17, schlug seine Hand aus, weil „er allweil so narrisch angezogen“ sei.
Und tatsächlich war Bruckners Kleidungsstil speziell. Ganz in schwarz, meist gebückt, mit Schlapphut und ungewöhnlich breiten Hosen – eine Zeitung schreibt über einen „Trichter, mit zwei Röhren“ – sorgte er in Wien für Aufsehen.
Aus Angst davor, sich plötzlich einzunässen oder, je nach Quelle für diese Anekdote, vor plötzlichen Samenergüssen, trug Bruckner außerdem oft ein „wasserdichtes Unterkleid.“ Seinen letzten Antrag macht er übrigens mit 72.
War er Hitlers Lieblingskomponist?
40 Jahre nach seinem Tod wurde Bruckner von den Nationalsozialisten vereinnahmt. Adolf Hitler selbst sah wohl Gemeinsamkeiten in seinem Leben und dem Bruckners, des abgelehnten Künstlers. Anders als Richard Wagner war Bruckner allerdings kein Antisemit und vollkommen unpolitisch, auch seine Musik ist ideologiefrei.
1937 enthüllte Hitler mit Goebbels in Walhalla bei Regensburg feierlich die Büste des Komponisten. In den Festreden dazu war Bruckner nun kein katholischer Österreicher mehr, sondern ein „deutscher Kantor“, der Anschluss des Nachbarlandes wurde bereits vorbereitet.
Als am 1. Mai 1945 ganz Deutschland im Radio die Nachricht vom Selbstmord Hitlers hörte, erklang im Anschluss der zweite Satz aus Bruckners Siebter, dirigiert von Wilhelm Furtwängler.
Faszination Tod oder Nekrophilie?
Als Bruckners erster Musiklehrer Johann Baptist Weiß sich erschoss, bat der Komponist als guter Katholik natürlich um Vergebung für den Selbstmörder – aber verstörenderweise auch um den Schädel des Toten, um diesen als eigene Reliquie aufzubewahren.
Ähnlich seltsam waren angeblich Bruckners Auftritte im Jahr 1888. Die Komponisten Franz Schubert und Ludwig van Beethoven wurden exhumiert und umgebettet. Bruckner war dabei anwesend und betastete Beethovens Schädel. Trotz Verbot der Ärzte soll er mit großer Erregung auf den Schädel in seiner Hand eingesprochen haben.
Zu anderer Gelegenheit bat er sogar darum, an einer Hinrichtung teilnehmen zu dürfen:
ARD Klassik Bruckner zum Bingen | Tusch zum 200. Geburtstag
Sakrale Stille voller Demut und monumentaler Sound mit großem Orchester und viel Blech: In der Musik von Bruckner dehnt sich die Zeit ins Unendliche.
Bruckner x „Seven Nation Army“?
Bruckners bekannteste Sinfonie ist wahrscheinlich seine Vierte. Beiname „Romantische“. Das Finale wartet mit einer genialen Harmoniefolge auf und hat hörbar unsere heutige Blockbuster-Filmmusik beeinflusst.
Bruckners Einfluss auf unsere heutige Musik endet da aber nicht. Auch die White Stripes scheinen Bruckner zu schätzen. Denn der Dauerbrenner „Seven Nation Army“, den jeder Fußballfan mitgrölen kann, hat extreme Ähnlichkeit zum Hauptmotiv aus Bruckners 5. Sinfonie:
Krankhafter Zählzwang
1867 ist Bruckner am Ende. Eine seiner Marotten, der Zählzwang, hat sich ungut ausgebreitet. Bruckner zählt alles, was ihm in die Quere kommt, Fenster, Blätter und Knöpfe. Seine Lebensweise schadet seiner Gesundheit: Er lebt in seiner kargen Wohnung, komponiert und isst ungesund. Drei Liter Bier gehören für ihn zu jeder Mahlzeit dazu.
Der Arzt verordnet Bruckner eine Kur, bei der sich sein Zustand bessert. Nur seinen Zählzwang wird er beibehalten, wer in seine Partituren schaut, sieht immer sorgsam durchnummerierte Takte.
Mit dieser Aussage lag Johannes Brahms eindeutig falsch. Ob ein eigenbrötlerischer Sonderling oder nicht, Bruckner hat mit seinen Werken sinfonische Formen definitiv geprägt und Gustav Mahler und John Williams erst möglich gemacht.
Seine einmalige Klangsprache, in der Streicher und Bläser sich ähnlich der Orgel in Register trennen und Lautstärken ganz unvermittelt in „Terrassendynamik“ nebeneinandersetzen, ist heute auf der ganzen Welt in Konzertsälen Repertoire. Und wird es sicher auch die nächsten 200 Jahre noch bleiben.