Die Pandemie hat vieles verändert, auch den Pop. Denn spätestens seit dem Aufkommen von Querdenkern und Verschwörungserzählungen über die Impfung gibt es auch in der eigentlich so emanzipatorischen und progressiven Popkultur rechte Stars. Eine neue Ausgabe der Anthologie Testcard seziert das Phänomen.
Einst galt es als politisch links, aus einer Außenseiterposition Popmusik zu machen
Der 46-jährige Kalifornier Ariel Pink gilt als Pionier des Lo-Fi-Pop, mit dem er sich gerne als gesellschaftlicher Außenseiter stilisiert. Ein Unangepasster, der mit der Gesellschaft hadert: Warum waren eigentlich so viele seiner Fans überrascht, als sie Ariel Pink als Teilnehmer der Pro-Trump-Demonstration erkannten, die am 6. Januar 2021 zum Sturm auf das Kapitol führte? Weil es doch irgendwie immer als politisch links galt, aus einer Außenseiterposition Popmusik zu machen. Rechte, so glaubte man, machten Musik nur zu Propagandazwecken.
Dass die Pandemie die Karten in der Popkultur noch einmal neu gemischt hat, wird sehr deutlich in der neuen Ausgabe der Anthologie „Testcard“ zum Thema „Rechtspop“. In seinem einleitenden Aufsatz „Die Poprechte“ zeigt sich Frank Apunkt Schneider fast schon erleichtert, dass große Weirdos des Pop wie Sun Ra, Moondog, Rocky Erickson oder Daniel Johnston die Pandemie nicht mehr miterlebt haben – und so nicht in die Verlegenheit kamen, mit, „schrulligen, eigenweltlichen (…) und völlig irren Kommentaren zu Virenentstehung, Maskenpflicht und Impfzwang ihren Held_innenstatus zu erschüttern“.
In den 70er-Jahren provozierten britische Punks ihre Väter mit Hakenkreuzbinden
Aber es war auch schon lange vor der Pandemie kompliziert. Warum hat der jüdische Musiker Serge Gainsbourg etwa schon 1975 dazu aufgerufen, den „Nazi Rock“ zu tanzen?
Es fällt sicher nicht schwer, dieses Stück Musik als Persiflage auf eine auch 30 Jahre nach Kriegsende noch anhaltende Faszination für den Nationalsozialismus und seine Ästhetik zu deuten. Und wenn kurze Zeit später britische Punks Hakenkreuzbinden trugen, war dies vor allem eine Provokation an deren Väter, die immer noch ihren Stolz auf ihren Sieg über Hitler vor sich hertrugen, wie Jonas Engelmann in seinem Aufsatz „Hakenkreuze im Pop“ feststellt.
Wenn jüdische Punks wie der Sex-Pistols-Erfinder Malcolm McLaren sich mit Nazi-Devotionalien schmückten, konnte das auch noch auf andere Weise emanzipativ wirken, so Engelmann: „Nicht die Aneignung der Symbole ist obszön, sondern das Einfrieren der Shoah in einem ritualisierten Gedenken, dem die jüdischen Punks, indem sie die Hoheit über die Symbole übernahmen, eine aktive und eigenständige Identität entgegensetzten.“
Sex-Pistols-Gründungsmitglied John Lydon ist heute allerdings trotzdem bekennender Trump-Unterstützer.
Rechte Frauen in der Popkultur behüten Kinder, Familie und Gesinnung nach innen
Doch auch abseits von Musik hat die Testcard-Ausgabe „Rechtspop“ genügend Untersuchungsmaterial: Viola Nordsieck und Tim Kegler etwa untersuchen in ihrem Aufsatz „Weiche Formen, harte Worte“ die Strategien rechter Frauen in der Popkultur. Sie entdecken auch im rechten Milieu Schlagwörter wie Entschleunigung und Achtsamkeit.
Rechte Frauen in der Popkultur, schreiben sie, „validieren den rechten Mann gesellschaftlich nach außen, sie schaffen Anschlüsse durch Themen wie Sorgearbeit, Beziehungen, Gesundheit und Lebensweisen und sie behüten nach innen Kinder, Familie und Gesinnung.“
Pop ist nach rechts genauso offen wie nach links
In einem anderen Aufsatz wiederum entdeckt Jan Tölva die Ideologie der Männlichkeit als „Scharnier zwischen Punk und rechten Lebenswelten“. Die „Selbst-Indigenisierung im volkstümlichen Neo-Schlager“ ist Thema eines weiteren Aufsatzes, und die rechte Gamer-Szene wird genauso untersucht wie die Kultur rechter Internet-Memes.
Die Testcard-Ausgabe „Rechtspop“ ist ein ergiebiger, hochaktueller Reader, der viele popkulturelle Phänomene in einem neuen Licht zeigt – und zu dem bedenklichen Schluss kommt, dass Pop nach rechts genauso offen ist wie nach links.