Gespräch

„Wir leben im Zeitalter der Zunge“ – Autor Florian Werner über ein unterschätztes Körperteil

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Interview
Doris Maull

Kosten, lecken, schmecken, küssen, sprechen, abschneiden – all das kann man mit der Zunge machen. Sie ist ein menschliches Organ von vielen, vielleicht aber das meist unterschätzte. Dabei leben wir längst im „Glossozän“, dem Zeitalter der Zunge, sagt Autor Florian Werner. Und holt die Zunge, die immer auch ihren Eigensinn hat, vom Schatten ins Licht.

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Die Zunge ist das wichtigste Interface zur Außenwelt

Auf die Idee, sich genauer mit der Zunge zu beschäftigen, haben ihn sein Hund und sein Sohn gebracht. Als Florian Werner beobachtete, dass sein Sohn das Hecheln und Lecken seines Hundes zu imitieren begann, wurde ihm klar: Tier und Menschen, alle Säugetiere haben eine Zunge, „aber es ist sehr unterschiedlich, was sie damit tun.“

Das Gemeinsame vielleicht: die Zunge dient der Kommunikation im Sinne des in Verbindung Tretens mit der Außenwelt.

Die ausgereifteste Variante diese Kommunikation ist die Sprache. Anders, als in Zeiten von Internet, Homeoffice und Cybersex vielleicht zu vermuten wäre, hat deshalb die Zunge auch heute eine immense Bedeutung. In einem immer mehr von sprachgesteuerten Tools geprägten Alltag, ist sie eines der wichtigsten Interfaces zur Umwelt, sagt Florian Werner. „Wir leben im Zeitalter der Zunge“.

Ein Körperteil mit Eigensinn

Die vielfachen Redewendungen über die Zunge – „Die Zunge hüten“, „Mit Engelszungen sprechen“, „Mit gespaltener Zunge reden“ – verrieten zugleich etwas vom Misstrauen des Menschen gegenüber einem Körperteil, dass zwar ganz nah am Gehirn liegt, aber eben doch eigensinnig bleibt. In den Redewendungen „spricht das Wissen darüber, dass wir dieses Organ ganz nah am Kopf haben, dass es aber auch seinen eigenen Kopf hat“, sagt Werner.

Das Genie und die Zunge

Florian Werner holt mit seinem Buch „Zunge. Ein Porträt“ ein Körperteil aus dem Schatten ins Licht. Wobei er einen Schlüsselmoment für das neue Bewusstsein für dieses Körperteil im Jahr 1951 verortet. In diesem Jahr streckte das Genie Albert Einstein genervt Fotografen die Zunge heraus. Entstanden ist ein Bild, das ikonisch wurde. Der Raum des Vorzeigbaren war erweitert. Auch für die Zunge!

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