Von Begeisterung bis Häme wurde als Reaktion auf die Forderung nach einer Parlamentspoetin alles geboten
Es war wohl eine naive Hoffnung, es möge zur Abwechselung mal keine Debatte geben und der Vorschlag, das Amt einer Parlamentsdichterin bzw. eines Bundestagspoeten zu vergeben, würde vom Feuilleton und den sozialen Medien weitgehend ignoriert.
Aber die Gesetze der moralisierten Medienökonomie gelten unerbittlich: Kaum hatten Simone Buchholz, Dmitij Kapitelman und Mithu Sanyal ihre Forderung veröffentlicht, folgte die erwartbare Begeisterung in der einen Medienblase, und aus allen anderen Lagern und Kreisen kam eher Ablehnung, die von seriöser, nämlich argumentativ grundierter Kritik bis zur Häme wie üblich alles bot.
Man sollte die Parlamentarier in Ruhe ihren Job machen lassen
Dabei hätten sich alle mal locker machen und sagen können: Okay, es wird so viel Geld für Nonsens ausgegeben, warum nicht auch im Auftrag der Verwaltung dichten? Ob da nun affirmative Staatskunst, peinliche Poetry oder vielleicht doch etwas Geistreiches, Groteskes oder gar Schönes herauskommen mag, ist jedenfalls nicht ausgemacht.
Es gibt jede Menge Kunst am Bundestagsbau, warum nicht auch Verse vor einer wichtigen Versammlung, polemische Prosa zu Beginn einer Plenarsitzung, in der dann ohnehin geschimpft und gestritten wird? Von mir aus könnten vor Abstimmungen auch schräge Arien gesungen oder nach einer Aktuellen Stunde ein kurzes Ballett aufgeführt werden.
Vielleicht lässt man die Parlamentarier aber doch in Ruhe ihren Job machen, indem sie sich auf die Gesetzestexte konzentrieren, die zu verstehen und zu verabschieden, bekanntlich nicht leicht ist. Davon zeugen immerhin wirre Wortbeiträge, vor allem aus der rechten Ecke.
Die Dichtung braucht keinen Politisierungsschub
Wenn sich die Mehrheit des Bundestages indes für eine Parlamentsdichterin entscheidet, bitte sehr! Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Was mich allerdings viel mehr interessiert, ist eine andere Formulierung in dem seltsam ungelenk formulierten Textlein mit der Überschrift „Dichterin gesucht“: „Nebenbei“, so ist darin zu lesen, und man ahnt schon die Lüge, „Nebenbei würde das auch der Dichtung in diesem Land einen Politisierungsschub geben.“
Mal abgesehen von dem leicht paternalistischen Tonfall wäre der Nebeneffekt gewiss das Hauptproblem. Denn wenn „die Dichtung in diesem Land“ eines nicht braucht, dann einen Politisierungsschub. Die deutschsprachige Lyrik ist derzeit so vielfältig und politisch wie lange nicht: Anja Kampmann schreibt über Windräder, Marion Poschmann macht in ihrer Dichtung die Klimakrise zum Thema, Lutz Seiler befasst sich mit sprachlichen Veränderungen in der Pandemie, mit neuen Alltagsroutinen im Lockdown.
Wer also einen „Politisierungsschub“ in der Dichtung verlangt, kennt sich entweder nicht aus oder hat eher Propaganda im Sinn, die in poetischen Formen daherkommt. Die aber war immer schrecklich und ist – nicht zuletzt aus politisch-historischen Gründen – vor allem in Deutschland völlig indiskutabel.
Überzeugende Ästhetik wird in der deutschen Literatur immer seltener
Was die Literatur hierzulande vielmehr braucht, wären schriftstellerische Positionen jenseits von Agitprop und politischer Selbstbestätigung. Immer seltener werden Texte, die nicht wegen der gewiss wichtigen Themen, sondern wegen einer überzeugenden Ästhetik relevant sind.
Vielleicht besteht gerade das Politische einer Prosa heutzutage darin, sich auf sprachliche Weise simplen Interpretationen zu entziehen. Und wenn dann solche Literatur, die sich vor allem als Kunst begreift, vor den Volksvertretern vorgetragen würde, kämen vielleicht auch jene Parlamentarier ins Grübeln, die sich weder durch Wissenschaft noch durch gute Argumente überzeugen lassen.