Am 10. Mai 1933 verfolgte Erich Kästner auf dem Opernplatz in Berlin die Bücherverbrennung der Nazis, bei der auch seine Bücher mit der Parole „Gegen Dekadenz und moralischen Verfall“ in die Flammen geworfen wurden. Trotzdem beschloss er im nationalsozialistischen Deutschland zu bleiben, und dabei gelang es ihm, eine ziemlich perfekte Distanz zu den neuen Machthabern zu bewahren.
Ausharren im Dritten Reich - warum?
Was ging in ihm vor, wie schlug er sich durch in dieser Zeit? Diese Fragen wurden immer wieder aufgeworfen und nun hat der Literaturkritiker und Autor Tobias Lehmkuhl dem Thema ein ganzes Buch gewidmet. Es trägt den Titel „Der doppelte Erich. Kästner im Dritten Reich“.
Kästners Gründe für sein Bleiben in Deutschland waren übersichtlich. Er wollte seine Mutter, mit der ihn eine symbiotische Beziehung verband, nicht zurücklassen. Er empfand, obwohl er von der Gestapo zwei Mal verhört wurde, keine direkte persönliche Bedrohung.
Er scheute sich, seine literarischen Geschäftsbeziehungen aufzugeben. Und, das war sein ambitioniertestes Motiv fürs Dableiben: er wollte als Zeitzeuge das erleben, was, wie er später sagte, „das Volk in schlimmen Zeiten“ zu ertragen hatte und darüber, wenn alles vorbei wäre, den Roman des Dritten Reichs schreiben.
Schriftsteller mit Schreibverbot
Tobias Lehmkuhl stellt all diese Motive auf den Prüfstand, wobei zwei Aspekte besonders interessant sind. Was die literarischen Geschäfte anging, so wurde Kästner auf dem deutschen Markt mit einem Publikationsverbot belegt. Trotzdem schrieb er weiter, vornehmlich für Theater und Film, doch musste er dabei unsichtbar bleiben und sich durch Pseudonyme und verdeckte Kooperationen behelfen.
Das andere große Thema ist die Frage: Was wurde aus dem Roman über die Nazi-Zeit, den sich Kästner vorgenommen hatte? Daraus wurde nichts. Die nicht ganz einfachen Gründe dafür sind bei Lehmkuhl nachzulesen.
Unpolitische Nonchalance
Kästner machte aus seinem Überleben in der Diktatur kein Drama. Wenn er Widerstand übte, dann tat er das diskret, indem er den Nazi-Allüren eine unpolitische Nonchalance entgegensetzte. Er hielt Hof in seinem Stammcafé, spielte Tennis und schmuggelte unbotmäßige Pointen in Drehbücher und Theaterstücke hinein.
Und wenn er sich bei seinen Versuchen, die Publikationserlaubnis zurückzugewinnen, zum Opportunismus gezwungen sah, dann überließ er es seinen Anwälten, die peinlichen Unterwerfungsbekenntnisse zu formulieren.
Das Fazit kann lauten: Kästner ist auch im Dritten Reich anständig geblieben. Aber bei einem, wie ihm, der in seinem Schreiben und Dichten gerne jedem Pathos die Luft rausließ, war das ein völlig unpathetischer Anstand. So nüchtern, wie er in seinem Gedicht „Sachliche Romanze“ über die Liebe schrieb, so pragmatisch und sachlich verhielt er sich auch als Nazigegner. Damit entzog sich Kästner den gängigen Polaritäten von Engagement und Mitläufertum, Exil und innerer Emigration.
Eine facettenreiche Darstellung
Das macht es nicht leicht für den Biographen, der diese Geschichte erzählt. Stringenz ist nicht die Stärke von Lehmkuhls oft sprunghafter Darstellung. Viele Fragen werden wortreich umkreist und bleiben doch ohne triftige Antwort.
Eine Entschädigung dafür bietet jedoch die Stofffülle, die Lehmkuhl hier aufbietet. Er diskutiert viele Gesichtspunkte und lässt zahlreiche Zeitgenossen Kästners auftreten. So entsteht insgesamt ein facettenreiches und vielgestaltiges Bild des kulturellen Kontextes, in dem Kästner sich bewegte.