Pünktlich zum slowenischen Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse erscheint jetzt der Band "Mein Gedicht ist mein Gesicht". Eine Auswahl von Gedichten und Essayausschnitte des früh verstorbenen Kosovel.
Wenn heute von dem früh verstorbenen Srečko Kosovel die Rede ist, sprechen manche vom „slowenischen Rimbaud“. Was Furor und Eigensinn im Ton betrifft, stehen beide einander in Nichts nach. Zweifelnd klingt Kosovel allerdings, als er kurz vor seinem 21. Geburtstag am 26. Februar 1925 notiert:
„Ich hab in allem resigniert und hab nur noch ein Ziel: Schriftsteller zu werden.“
Was der häufig kränkelnde Student nicht weiß, allenfalls ahnt: Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr, um sein Ziel weiter zu verfolgen. Allerdings hat er bereits eine imposante Anzahl an Gedichten verfasst, von denen eine breite Auswahl in Kombination mit Brief- Tagebuch – und Essayausschnitten in „Mein Gedicht ist mein Gesicht“ in deutscher Übersetzung von Ludwig Hartinger neu aufgelegt worden ist.
Die von den Bora-Winden geschärfte Karstlandschaft bei Triest
Kosovel, der im März 1904 in der Stadt Sežana auf einem Karstplateau und 17 km von Triest entfernt als Sohn eines Lehrers und einer Gouvernante geboren wurde, schreibt, seit er 16 Jahre alt ist. Besonders hat es ihm die von den Bora-Winden geschärfte Karstlandschaft angetan, die er regelmäßig durchstreift, nachdem die Familie nach Tomaj unweit von Sežana umgezogen ist.
Kosovels Schreiben prägt die Erfahrung des Ersten Weltkriegs. Der Karst um Tomaj war Aufmarschgebiet für die Isonzofront, deren zwölf Schlachten zu den verlustreichsten dieses Kriegs gehörten. Täglich kamen Soldaten, Verwundete, Flüchtlinge nach Tomaj, war der Kriegslärm zu hören, waren Leid und Tod allgegenwärtig.
„Der Dichter ist Botaniker. Er geht über den Karst und sein Herbarium ist eine Sammlung getrockneter Blumen, er geht an die Front, sein Tagebuch ist voller Schädel.“
Beeinflusst von Impressionismus, Expressionismus und Dadaismus
Naturerfahrungen, Eindrücke des Krieges, das Vielvölker- und Sprachgemisch in Tomaj, später in seinem Studienort Ljubljana, der aufkommende Faschismus im benachbarten Italien bewegen Kosovel. Sie lassen den vielfach Gebildeten und Belesenen weiter dichten. Sein Schreiben war vom Impressionismus, Expressionismus und später vom Dadaismus beeinflusst. Er politisierte sich aber zusehends. Den Künstler begreift er als Auserwählten, der in einer gesellschaftlichen Verantwortung steht:
„Für mich ist wesentlich, dass ich nach den Gesetzen meines inneren Lebens lebe, nicht irgendwelcher Geschichte oder Philosophie der Ethik usw. Ich lebe, also kann ich schöpferisch sein, das ist der erste Grundsatz des Menschen-Künstlers“,
schreibt er in seinen Aufzeichnungen und schließt:
„Nicht an der Realität vorbei, nicht über, sondern durch sie, gegen diese Realität. Das ist die einzige gemeinsame Losung moderner Kunst: Für den Menschen.“
Lob des produktiven Alleinseins
Kosovels unbedingte künstlerische Leidenschaft zeigt sich in den Variationen seiner Karst-, Meer- und Wetterschilderungen, im exzessiven Besingen einer meditativen Stille, im Lob eines produktiven Alleinseins, das den Zustand der „Nihilomelancholie“ als bevorzugten schätzt. Seine Texte klingen in ihrer Wendung gegen die „Kulturhottentotten“ manchmal sehr wild, ihr Ton ist eigenwillig.
Schnell vergisst man über diesen Gedichten, dass man es hier mit einem extrem jungen Autor zu tun hat, der nicht nur äußerst produktiv, sondern auch immens begabt war. Er selbst zweifelte wohl daran:
„100 Jahre nach mir wird keine Rede von mir sein.“
Hierin irrte sich Kosovel. Er zählt heute zu den großen und vielzitierten Dichtern Sloweniens, und es ist ein Glück, dass Ludwig Hartinger diesen feinen, facettenreichen Band zusammengestellt und überarbeitet hat, der Werkschau, Zeitbericht und Porträt gleichermaßen ist.