Buch der Woche

Scott McClanahan - Sarah

Stand
Autor/in
Christoph Schröder

„Sarah“ ist ein schneller, manchmal derber Roman. Man hält nicht nur einmal die Luft an, wenn man dem jungen Scott McClanahan durch sein Leben folgt.

Autor und Held heißen gleich, aber man wünscht dem 1978 geborenen Autor, dass er anders ist als sein Protagonist.

McClanahan ist für seine Drastik bekannt

Der 1978 geborene amerikanische Schriftsteller und Filmemacher Scott McClanahan hat seit 2008 bereits mehrere Erzählungsbände, Romane und eine Graphic Novel veröffentlicht.

Die Zeitschrift „Rolling Stone“ charakterisiert ihn auch aufgrund der ländlichen Schauplätze seiner Geschichten als literarischen Outsider.

Andere haben McClanahan in seiner Drastik mit Charles Bukowski verglichen.

Autor und Protagonist des Romans tragen den gleichen Namen

Nun hat der fränkische ars vivendi Verlag mit McClanahans im Original 2015 erschienenen Roman „Sarah“ erstmals ein Buch dieses Autors in deutscher Übersetzung vorgelegt, und die hat sogar der Schriftsteller Clemens J. Setz übernommen.

Der Ich-Erzähler von Scott McClanahans bemerkenswertem Roman heißt Scott McClanahan. Und nach allem, was man im Internet über den Autor nachlesen kann, weisen Romanfigur und Autor große biografische Übereinstimmungen auf.

Betrunken Autofahren ist für Scott das Normalste der Welt

Wichtig ist das für die Lektüre nicht. Denn ganz gleich, ob Scott eine literarisch bearbeitete reale Figur oder pure Erfindung ist – ein furioser Antiheld, ein trauriger Ritter des amerikanischen Alltags bleibt er so oder so.

Gleich in der ersten Szene lernen wir Scott in all seinen Widersprüchen kennen. Er ist betrunken. Das ist er, ohne zu viel zu verraten, ziemlich oft.

Er setzt sich ans Steuer seines Autos, gibt Gas und ist dabei der festen Überzeugung, er sei der beste betrunkene Autofahrer der Welt, allein schon deshalb, weil er darin jahrelange Übung habe.

Plötzlich merkt Scott, dass seine Kinder auf der Rückbank sitzen

Das ist fahrlässig, aber auch noch nicht weiter ungewöhnlich. Doch plötzlich hört Scott in seinem Wagen ein Geräusch, blickt sich um und bemerkt, dass seine beiden Kinder Iris und Sam auf der Rückbank sitzen.

Die hatte Scott ganz und gar vergessen. Prompt gerät er kurz darauf in eine Polizeikontrolle, kann sich mit Hilfe von Mundwasser und seiner Wortgewandtheit herausmogeln und fährt lächelnd weiter.

Anstatt Reue überkommt Scott ein Hochgefühl

Das anschließende Hochgefühl, das ihn überkommt, ist paradigmatisch für diese durch und durch schräge Figur:

Ich übergab mich in eine Plastiktüte und warf sie aus dem Fenster. Die Kinder weinten noch immer, aber es war mir jetzt egal. Ich war frei, ich war davongekommen, und ich fuhr unseren Todeswagen so schnell und furchtlos über die Erde. Ich zerstörte unser Leben und es fühlte sich so verdammt großartig an.

„Sarah“ ist im Kern eine unglückliche Liebesgeschichte

Scott liebt Sarah. Sarah liebt Scott. Dass das allein nicht genügt, bekommen wir in einer Reihe von chronologisch nicht geordneten Episoden des Scheiterns vorgeführt.

Die beiden werden ein Paar, als Sarah 24 und Scott 19 Jahre alt ist. Sarah arbeitet als Krankenschwester; Scott ist Dozent an einem College, irgendwo in einer mittelgroßen Stadt in West Virginia.

Sarah wird schnell schwanger; die beiden heiraten. Doch das Zusammenleben ist mit einem Mann wie Scott schlicht unmöglich. Denn Scott ist infantil und egomanisch bis an die Grenzen des Narzissmus.

Die Dummheiten des Protagonisten sprechen für sich

Wenn er einmal einen guten Einfall hat, macht er ihn kurz darauf mit einem noch schlechteren Einfall zunichte. „Sarah“ ist eine Berg- und Talfahrt, ein ständiger Wechsel von Hochgefühl und Desillusionierung.

McClanahan hat für die Darstellung dieser asymmetrischen Beziehung eine schlüssige Erzähltechnik gefunden: Er bleibt dicht an Scotts Seite, verzichtet dabei weitgehend auf Psychologie und lässt Scotts zumeist törichte Handlungen für sich sprechen.

Sarah dagegen wird beinahe ausschließlich durch ihre eigene wörtliche Rede dargestellt. So bekommt dieser Charakter schnell eine Kontur, ohne bewertet zu werden.

Scham fehlt in diesem Roman gänzlich

„Sarah“ ist ein Roman, der nicht an Deftigkeiten spart, an Abstürzen, an der Beschreibung körperlicher Gebrechen oder Dysfunktionen. Falsche Scham gibt es hier nicht; im Grunde gibt es überhaupt keine Scham.

Das mag ein Teil des Beziehungsproblems sein. Und doch wird dem Leser schnell deutlich, dass hinter der rasanten Komik der einzelnen Szenen der Abgrund einer tiefen Traurigkeit lauert.

Ein Hund wird Sinnbild der Beziehung von Sarah und Scott

Eines Tages bringt Sarah einen Mops mit nach Hause, ein altes, räudiges, übelriechendes und verflohtes Tier. Sarah und Scott behalten den Hund, weil er schlicht und einfach in ihr Leben passt.

Ich setzte mich hin und sah ihm dabei zu, wie er gegen die Wände rannte. Er knallte mit dem Kopf gegen die Couch und später sah ich, wie er sich am Sessel stieß. Ich sagte ihm, dass er eine Metapher für mein Leben sei. Ich sagte, er sei so hilflos und blind, und dann sagte ich ihm, dass auch ich ein hilfloses Geschöpf war.

Das ist eine Schlüsselpassage. So deutlich wird Scott McClanahan an keiner anderen Stelle. Dass Sarah Scott eines Tages vor die Tür setzt und die Scheidung einreicht, erfahren wir bereits sehr früh.

Supermärkte sind zentrale Schauplätze des Romans

Danach richtet Scott sich im Auto auf dem Parkplatz eines Supermarktes häuslich ein in der Hoffnung, das würde Sarah umstimmen. Ein Kinderglaube auch das.

Überhaupt sind Supermärkte und Shopping Malls immer wieder zentrale Schauplätze des Romans, an denen sich Konsumgier und Tristesse miteinander verbinden.

Die Übersetzung des Romans behält den Witz des Originals bei

Hinter McClanahans geradezu teuflisch heiter hüpfendem Tonfall, den der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz ins Deutsche hinübergerettet hat, verbirgt sich ein zutiefst einsamer Mensch ohne Angst vor Selbstentblößung.

Einer, mit dem man Mitleid haben müsste, wenn er seiner Umwelt nicht permanent Schaden zufügen würde. Infantilität und fehlende Empathie gehen in Scott eine unheilvolle Beziehung ein.

Der Protagonist hat stets eine Ausrede parat

Das Schlimme daran ist: Er selbst sieht seine eigenen Verfehlungen. Und er findet stets sofort einen Weg, sie zu relativieren.

Ich zahlte jedes Jahr meine Steuern an ein Land, das Bomben herstellte, um damit Leute zu zerfetzen, und ich dachte schreckliche Dinge über Männer und Frauen und sogar über Kinder. Ich war ein schrecklicher Mensch. Dann lächelte ich und flüsterte einer Welt aus imaginären Menschen zu: „Und wisst Ihr was? Ihr seid auch schrecklich.“

Gerne will man einen solchen Menschen in einem Roman kennenlernen, der vordergründig so unterhaltsam und hintergründig so niederschmetternd ist wie „Sarah“.

Scott tut niemandem gut - nicht mal sich selbst

Gleichzeitig weiß man, dass man in der Realität um einen Mann wie Scott einen großen Bogen machen würde, weil er niemandem gut tut und auch nicht sich selbst.

Scott, der begnadete Zerstörer und Selbstzerstörer, weiß das. Sarah wusste das auch, von Anfang an.

Dass dieses Buch dennoch ein Liebesroman geworden ist, zeigt die ganze Tragik, die in der Geschichte von Sarah und Scott steckt.

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Christoph Schröder