SWR2 lesenswert Kritik

Sarah Moss – Sommerwasser

Stand
Autor/in
Claudia Fuchs

Sie alle wollen Sonne. Doch stattdessen gibt's Dauerregen. Die urlaubenden Paare und Familien in einer schottischen Feriensiedlung geraten bald schon an ihre Belastungsgrenzen. In ihrem neuen Roman „Sommerwasser" bettet Sarah Moss ihre Figuren in die schroffe Landschaft des verregneten schottischen Hochlandes ein und zeigt dabei auch, wie sehr wir von Natur und Wetter abhängig sind.

Ein Roman wie ein Kammerspiel: eine Feriensiedlung mit kleinen Sommerhäusern an einem See in Schottland. Kein Internet, Dauerregen und die nächste Dorfkneipe einen Fußmarsch entfernt.

Wie gehen die Familien und Paare mit dieser klaustrophobischen Situation um? Die Autorin Sarah Moss wechselt mehrfach die Perspektive, indem sie zwölf Feriengästen jeweils ein Kapitel einräumt und sie in erlebter Rede ihre Gedanken, Gefühle und Erlebnisse an diesem Regentag schildern lässt. Fern von den gewohnten Fluchtmöglichkeiten im Arbeitsalltag sind Erwachsene, Jugendliche und Kinder hinter regennassen Fensterscheiben mit sich selbst und ihrer Familie konfrontiert. Die kleinen Fluchten sind zeitlich und räumlich begrenzt. Eine Familienmutter joggt trotz ärztlicher Warnung kilometerweit durch den Regen, und ein Teenager paddelt im Kanu gefährlich weit auf den See hinaus. Zwei Geschwister erfinden ein teuflisches Spiel mit einem Mädchen aus einer osteuropäischen Familie, die von den britischen Feriengästen misstrauisch beäugt wird.

Bloß keine Brettspiele!

Sarah Moss passt ihre Erzählsprache sehr überzeugend an die unterschiedlichen Figuren an. Der 16-jährige Alex etwa entflieht den faden familiären Brettspielen in der feuchten Hütte, weil er befürchtet, dass er sonst noch jemanden umbringen wird. Im Kanu auf stürmischer See steigert er sich in einen wahren Hass-Furor hinein: Er „will nicht das Blut seines Vaters vergießen“, lässt die Erzählerin Alex wütend versichern,  

„aber die Befriedigung, sich von hinten mit der Pfanne zu nähern, in der seine Mutter stinkende Eier brät, deren Weiß […] Fäden zieht, wenn sein Vater sie sich in den Mund schaufelt…“.

Vorsichtig tastend dagegen der Gedankenstrom im Kapitel „Einst stand nahe Semmerwasser“, in der eine Ehefrau in den Siebzigern Gedichtzeilen aus ihrer Kindheit memoriert, im Alltag aber zunehmend die Orientierung verliert. Das Kapitel beginnt mit der schlichten Feststellung „Sie kann es nicht finden“, die Raum lässt für viele Vermutungen. Was genau die Protagonistin sucht, verliert im steten Strom ihrer Erinnerungen zunehmend an Bedeutung.

Auch Pflanzen, Tiere und Felssedimente können sprechen

Aber Sarah Moss gibt nicht nur den Bewohnern der Feriensiedlung eine Stimme, sondern auch der Landschaft des schottischen Hochlands mit ihren Pflanzen, Tieren und Felssedimenten. In kurzen, poetischen Zwischenkapiteln geht eine Füchsin auf nächtliche Jagd, um ihre Jungen säugen zu können, Dachse verlassen ihren Bau und die Äste der Bäume greifen im Dunkeln stumm ineinander. Der gleichmütige Wechsel von Werden und Vergehen in der Natur lässt die menschlichen Mini-Dramen in den Ferienhäusern bedeutungslos erscheinen.

Wasser in allen möglichen Formen – als Regen, Wolkenformation, sturmgepeitschter See und Schweiß – ist in diesem Roman von hoher symbolischer Bedeutung. Es macht unsere Verbindung zur Erde bewusst, deren Oberfläche zu siebzig Prozent aus Wasser besteht.

Es ist ein besonderes Stück nature writing, das Sarah Moss mit diesen Zwischentexten in ihrem Roman schafft, der einem Kurzgeschichtenzyklus ähnelt, in dem jede Geschichte mit der vorangegangenen verknüpft ist. Im Unterschied zum Kurzgeschichtenzyklus hält im Roman jedoch eine abschließende kumulative Geschichte alles zusammen.

Zunehmende Aggressionen und befreiende Auswege

In dieser letzten Geschichte löst sich auch die Spannung auf, die die Autorin in den vorhergehenden Kapiteln subtil aufgebaut hat. Paarbeziehungen erweisen sich darin als unsicher, in den Familien steigt die Aggressionsbereitschaft mit jeder Regenstunde und ein Sturm gefährdet die Feriengäste, die zumindest zeitweise das Weite suchen. Die Familie aus Osteuropa lässt durch laute Partymusik fremdenfeindliche Stimmung in den Nachbarhäusern auflodern.

Im Schlusskapitel gibt die Autorin ihren Protagonist*innen in einer dramatischen Ausnahmesituation Gelegenheit, sich aus ihren festen Rollenzuschreibungen zu lösen und neue, unbekannte Seiten zu zeigen.

Sarah Moss‘ Roman ist keine leichte Sommerlektüre. Die Autorin bettet ihre Protagonist*innen ein in die schroffe Landschaft des schottischen Hochlandes, das Füchsen, Fledermäusen und Hirschkühen eine Heimat bietet. Dass wir Teil dieser Natur sind und Verantwortung für sie tragen, macht dieser Roman, den Sarah Moss in einem nassen Sommer in Schottland schrieb, nachdrücklich bewusst.

Stand
Autor/in
Claudia Fuchs