SWR2 lesenswert Kritik

Sabine Gruber – Die Dauer der Liebe

Stand
Autor/in
Jörg Magenau

Wie schreibt man über ein großes Unglück, über den Tod des geliebten Mannes? Wie kommt man darüber hinweg?

Trauer, schreibt die Südtiroler Schriftstellerin Sabine Gruber, ist wie eine Krankheit. Trauer erschöpft. Sie entwurzelt die Gedanken. Sie wird chronisch. Man gewöhnt sich an den Zustand, aber die Trauer bleibt.

In Sabine Grubers neuem Roman „Die Dauer der Liebe“ trauert die Hauptfigur Renata um ihren Geliebten. Mehr als zwanzig Jahre lebte sie mit Konrad in symbiotischer, zärtlicher Gemeinschaft zusammen. Dann steht eines Morgens ein Polizist vor ihrer Wohnungstür und teilt ihr mit, dass Konrad tot ist. Er starb auf einem Parkplatz. Herzinfarkt.

Plötzlicher Tod in den Bergen

Wie wird ein Mensch mit diesem Verlust fertig? Sabine Gruber versucht am Schicksal ihrer Romanfigur zu ergründen, was ihr selbst widerfahren ist. Sie war zwanzig Jahre lang mit dem österreichischen Künstler Karl-Heinz Ströhle liiert, der 2016 bei einer Gebirgswanderung plötzlich starb.

Im Roman wird aus ihm Konrad, ein wuchtiger, zärtlicher Mann, Bildkünstler und Architekturversessener, der sich auf faschistischen Städtebau in Norditalien spezialisiert hat. Renata, Sabine Grubers Alter Ego, ist Übersetzerin aus dem Italienischen und stammt, wie die Autorin selbst, aus Südtirol.

Doch was bedeutet das alles noch neben Tod und Trauer? Und wie schreibt man darüber?

„Ich kann das nicht, ich kann nicht über Konrad schreiben. Es kommt mir so vor, als stellte ich seine Bewerbungsunterlagen für das Jenseits zusammen. Und dann müssen sie noch durch die familiäre und kirchliche Zensur.“

Was Renata angesichts der Zumutung, die Trauerrede halten zu sollen, empfindet, gilt wohl auch für Sabine Gruber und für den ganzen Roman. Es ist alles viel zu nah und viel zu schmerzlich, um den Verlust und das Erlebte unbelastet in einen freien, literarischen Stoff zu verwandeln.

Auch die familiären Umstände bleiben akut: Weil Renata und Konrad nicht verheiratet waren, beansprucht die Familie Dinge, Kunstwerke, ja sogar das Sommerhaus, das den Liebenden gemeinsam gehörte, für sich.

So schlimm das auch ist: Dem Roman tut es nicht gut, dass die Familienangehörigen nichts als verschlagen, verlogen, habgierig sind und die Autorin ihnen nicht zumindest ein paar Ambivalenzen gönnt.

Raffgierige Verwandtschaft und schematische Männer

Erst ganz am Ende öffnet sich die Protagonistin ein klein wenig und lässt neue Lebens-, vielleicht sogar Liebesmöglichkeiten zu, so wie Konrad es ihr zu seinen Lebzeiten nahelegte: Falls er vor ihr sterbe, möge sie sich neu verlieben. Aber das, so stellt sich heraus, ist leichter gesagt als getan.

Renata erprobt eine Dating-Plattform im Internet, doch die Männer, die sich dort mit Auto, Hund, Bierflasche oder vor dem Badezimmerspiegel präsentieren, taugen allenfalls als Muster fürs Kabarett denn als reale Möglichkeiten. Renatas Liebe gilt weiterhin Konrad, der in vielfältigsten Erinnerungen weiterlebt.

„Der Liebende ist nicht blind. Er nimmt den von der Zeit veränderten Körper wahr, aber in dem, was der andere geworden war, entdeckt er noch die Schönheit der ersten Jahre, leuchtet etwas auf, das nur zu sehen imstande ist, wer einander seit langem kennt.“

Die Stagnation der Trauerjahre

Der Tod beendet die Liebe nicht, im Gegenteil, er konserviert sie und macht aus ihr ein Memorial. Und doch verändert sich etwas. Renata findet einen Zettel mit Hinweisen auf eine mögliche Liebschaft Konrads, von der sie nichts wusste.

„Zu Lebzeiten hatte Konrad nie Anlass zu Eifersucht gegeben. Warum begann Renata nun, an seiner Treue zu zweifeln? Weil das endgültige Schweigen auch Verschwiegenes einschließt, das nie mehr aufgebrochen werden kann? Weil die körperliche Nähe fehlt, die einzige spürbare Wahrheit, die vorübergehend alle Zweifel auszuräumen versteht.“

Von dieser inneren Spannung lebt „Die Dauer der Liebe“. Zu lieben bedeutet jedoch, nichts festhalten zu wollen, auch nicht die Erinnerungen. Alles wandelt sich, so dass die Romanfigur am Ende schließlich doch über die innere Stagnation der Trauerjahre hinwegzufinden beginnt. Für den Roman, der allzu lange in der Trauer und in der Wiederholung verharrt, ist es da aber schon zu spät.

Stand
Autor/in
Jörg Magenau