In ihrem neuen Buch stellt sie sieben scheinbar schlichte Erfindungen vor, die die Welt gründlich verändert haben.
Was die Welt im Innersten zusammenhält? Diese Frage, die Faust bekanntlich zur Verzweiflung trieb, kann die britische Ingenieurin Roma Agrawal leicht beantworten: Es ist der Nagel, in seinen vielfältigen Erscheinungsformen und Weiterentwicklungen in Gestalt von Schrauben und Nieten bis hin zu den gewaltigen, tief in den Untergrund gerammten Betonpfeilern, auf denen höchste Hochhäuser stehen und die ebenfalls nach dem Wirkprinzip des Nagels funktionieren.
Für Physiker ist der Nagel dabei mehr als ein fester Gegenstand, nämlich ein Objekt diverser Schlag-, Druck-, Zug- und Scherkräfte, wobei letztere für die Verbiegung sorgen können.
Der Nagel ist in Roma Agrawals Buch eine der „sieben Erfindungen, die die Welt bis heute verändern“. Rad, Feder, Magnet, Linse, Schnur und Pumpe sind die sechs weiteren. Es sind sieben scheinbar einfache Themen mit zahlreichen raffinierten Variationen, in die Agrawal laienverständliche Einblicke gibt.
Das Rad wurde nicht nur einmal erfunden
Das Rad wurde zunächst als Töpferscheibe erfunden, um irgendwann von einem unbekannten Schlaumeier der Menschheitsgeschichte zum aufrechtem Einsatz gebracht zu werden. Etwas, das rollt und zugleich mit etwas Festem verbunden ist, erst in Gestalt eines Karrens, später zum Beispiel als Fahrrad – für diesen Geniestreich gibt es in der Natur kein Vorbild, auch nicht für das Zahnrad, das in den Maschinen die Richtung und die Menge von Kräften reguliert.
Faszinierend ist das Kapitel über die Feder, einem überall eingesetzten Kraftspeicher-Mechanismus, ohne den es keine Uhren oder Tastaturen gäbe, nichts, das sich auf Knopfdruck bedienen ließe, keine einschnappenden Schlösser, keine tödlichen Revolver, keine moderne Schalldämmung, von bequemen Polstersitzen und Matratzen ganz abgesehen.
Historische und persönliche Einblicke
Die Geschichte der Schnur reicht vom ersten überlieferten Schnurstummel aus der Neandertalerzeit über die Erfindung des Webstuhls bis zur Entwicklung raffiniert geflochtener Stahlseile, die grandiose Brückenkonstruktionen tragen.
Die 1983 in Mumbai geborene, heute in London lebende Bauingenieurin Roma Agrawal gibt anschauliche Beispiele aus ihrem beruflichen Alltag und lässt auch sehr private Erfahrungen einfließen: Ihr Tochter verdankte sich den Errungenschaften der Reproduktionsmedizin, für die hochspezialisierte Linsen nötig sind.
Als Agrawal nach der Geburt Stillprobleme und einen schmerzhaften Milchstau hatte, lernte sie die segensreiche Wirkung einer Milchpumpe kennen. Das Funktionsprinzip aller Pumpen bringt sie pointiert auf den Begriff: „Pumpen zwingen Fluide, sich unnatürlich zu verhalten.“
Freie Bahn den Erfinderinnen!
Die Ingenieurin ist es gewohnt, oft die einzige Frau im Besprechungsraum zu sein. Deshalb ist es ihr ein an Anliegen, gerade Frauen aus der Technik-Ignoranz herauszuholen und sie für Ingenieurs- und Erfinderleistungen zu begeistern. Und den oft wenig bekannten Erfinderinnen Geltung zu verschaffen: etwa der Chemikerin Stephanie Kwolek, die die Kunstfaser Kevlar entwickelte, ein leichtes, überaus robustes Material, das sich deshalb neben vielen anderen Anwendungen – etwa bei Glasfaserkabeln – insbesondere zur Herstellung kugelsicherer Westen empfiehlt.
Den Reiz der Lektüre erhöhen viele erhellende Exkurse, etwa über die Geschichte der Telegraphie in Indien (Stichwort Magnet), die Entwicklung künstlicher Herzen (Stichwort Pumpe), oder die allererste mikroskopische Beobachtung der Zellteilung und Verschmelzung von Ei- und Samenzelle durch den Biologen Oskar Hertwig im Jahr 1875 (Stichwort Linse).
Bis dahin stritten sich Ovisten und Spermisten darüber, ob der Embryo in der Samen- oder in der Eizelle komplett präformiert sei. Kaum zu glauben, wie jung viele uns doch so selbstverständlich erscheinende Erkenntnisse noch sind. Die Floskel, dass man nach einer Buchlektüre die Welt mit anderen Augen sehe – sie gilt wirklich bei diesem ebenso unterhaltsamen wie erkenntnisträchtigen Buch.