Spätestens mit dem Literaturnobelpreis 2013 wurde Alice Munro weltberühmt. Am 13. Mai ist die kanadische Kurzgeschichten-Autorin im Alter von 92 Jahren gestorben. „Von ihr bleibt die Erkenntnis, dass man mit den ganz alten, traditionellen Verfahren des Erzählens immer noch Einblicke in die menschliche Psyche erreichen kann, die auch im 21. Jahrhundert noch taugen", sagt SWR Literaturkritiker Denis Scheck in SWR Kultur.
Zeitzeugin der Wirksamkeit von Hemingways Kurzgeschichten
Ihre Vorliebe für die Form der Kurzgeschichte liege natürlich in der angloamerikanischen Literaturtradition, so Scheck. Munro habe noch Hemingway und die unglaubliche Wirksamkeit seiner Kurzgeschichten erlebt: „Von daher war es in der amerikanischen auch in der kanadischen Literaturtradition natürlich immer viel selbstverständlicher, Erzählungen zu schreiben.“
Gegen den Trend Aufmerksamkeit erregt
Denis Scheck: "Es gab da einen Markt, aber das hat genau mit diesen märchenhaften Zügen ihrer Biografie zu tun.“ Alice Munro habe es geschafft, mit ihren Kurzgeschichten so viel Aufmerksamkeit zu erregen, dass es eben bis hin zum Nobelpreis führte. Und das habe man eigentlich in Zeiten der dicken Romane gar nicht mehr so unbedingt für möglich gehalten.
Nie einen Roman geschrieben
Romane habe Munro im Grunde nie geschrieben, dafür aber 150 Kurzgeschichten veröffentlicht, gesammelt in 14 Büchern, es gebe außerdem noch jede Menge nicht veröffentlichte Erzählungen.
Mit ihren Kurzgeschichten habe sich Munro aber „ins Herz einer internationalen Leserschaft geschrieben“ wie vor ihr vielleicht nur Hemingway. „Der große Vergleichs-Name, der immer bei Alice Munro fällt, ist eigentlich Anton Tschechow.“
Als Buchhändlerin gelernt, welche Geschichten ankommen
Munros Begeisterung fürs Geschichtenerzählen hat schon sehr früh begonnen. Schon im Alter von neun Jahren soll sie sich auf dem Schulweg Geschichten ausgedacht haben.
Alice Munro sei aber auch geprägt worden von ihrer Buchhandlung, die sie Alter von 20 Jahren zusammen mit ihrem Mann eröffnete. Dort habe sie aus erster Hand erfahren, welche Geschichten gut ankommen: „Ich glaube, das hat ihr Schreiben auch beeinflusst.“
Munros Protagonisten waren fast immer Frauen
"Von der Postmoderne wollte Alice Munro nichts wissen", sagt Scheck, "Sie stand mit einem Bein fast noch im 19. Jahrhundert mit ihren Erzählungen." Das habe sie jedoch ausgeglichen durch eine unglaubliche psychologische Raffinesse in ihren Erzählungen. Deren Protagonisten seien fast immer Frauen gewesen, weshalb man Munro auch als frühe Feministin betrachten könne.