Von pädagogischem Übereifer gegen die Gedankenlosigkeit der Mehrheitsgesellschaft bis zu sprachpolitischen Säuberungsaktionen: Brisante Wörter können heute vieles hervorrufen.
Matthias Heine wirft in seinem jüngsten Buch Kaputte Wörter? Vom Umgang mit heikler Sprache einen genauen Blick auf die missverständlich gewordene Bedeutung oder auch den diskriminierenden Charakter von Begriffen. Das Fragezeichen im Titel ist wichtig, denn der Autor gibt kein moralistisches Diktum zu den von ihm vorgestellten achtzig Wörtern, sondern eine klar strukturierte Übersicht zu ihrem jeweiligen Ursprung, ihrem Gebrauch im zeitlichen Wandel bis heute und ihrer Kritik. Daran schließt sich eine reflektierte Einschätzung zur Brauchbarkeit der Begriffe an.
Matthias Heines Souveränität im eigenen Umgang mit Sprache entspricht der präzise Blick auf die sprachgeschichtliche Entwicklung und ihre soziokulturelle Einbettung sowie Maß und Mitte seines Urteils. Sprache ist das Metier jedes Journalisten, jedes Linguisten. Für beide sind die Wörter – zu unterschiedlichem Zweck – Werkzeuge.
Matthias Heine aber behandelt sie in seinem Buch als etwas Lebendiges, das sich durch äußere Einflüsse verändert, in der Jugend einen anderen Sinn hat als in mittleren Jahren, bis es schließlich von der Zeit überholt ist und verschwindet. So schreibt er gut recherchierte Wortbiographien und behutsame Charakterstudien, die Unerwartetes zutage fördern, Brisantes entschärfen und vermeintlich Harmloses enttarnen.
Unerwartet in der Liste kaputter Wörter ist gewiss Völkerball, das 2019 in einer kanadischen Studie als Name für „legalisiertes Mobbing“ gebrandmarkt wurde, und das laut Berliner Tagesspiegel gelegentlich durch Abtreffball oder Zweifelderball ersetzt werde. Überraschender Weise wurde auch bester Freund vor wenigen Jahren unter Berufung auf eine amerikanische Psychologin als benachteiligend und sogar ausgrenzend für alle entlarvt, die eben nicht bester Freund oder beste Freundin sind.
Mit Gelassenheit und leiser Ironie kommentiert Matthias Heine derartige Absurditäten, wie auch die amtlichen Sprachübergriffe auf Weihnachtsmarkt, Weihnachten oder das Wort schwarz, beispielsweise bei schwarzfahren, anschwärzen usw. So kommt er auch zu dem weisen Entschluss, dass es sich beispielsweise nicht lohne, um das lächerliche Zigeunerschnitzel zu kämpfen, denn schließlich wolle man „ja nicht als starrköpfiger Opa enden, sondern nur in Ruhe ein Schnitzel essen“. Ungleich mehr als um das Wort Zigeuner erhitzten sich die Gemüter schon um geschlechtergerechten Ersatz für brüderlich und Vaterland in der Nationalhymne.
Die differenziert-kritische Bewertung durch den Autor wird beispielhaft an dem Begriff Ehrenmord klar. Ihn durch Femizid zu ersetzen, wäre eine Verallgemeinerung, die weder dem komplexen Tatmotiv gerecht würde noch dem Umstand, dass 30% der Opfer männlich seien. Ja, die sprichwörtliche deutsche Genauigkeit schlägt sich auch und gerade in der Sprache nieder: der Nationalsprache, die lange vor der nationalen Einheit da war und deshalb in besonderem Maße identitätsstiftend und schützenswert ist.
2016 hatte Matthias Heine den Begriff German linguistic angst für die Furcht um eine authentische deutsche Sprache geprägt. Ihre essenzielle Bedeutung und der vielfältige Bedeutungsgehalt ihrer Bausteine, der Wörter, erklärt sowohl die Intensität als auch Vehemenz der Sprachkämpfe in einem denkbar weiten Spektrum, das der Autor mit seinen Beispielen absteckt.