Zum 95. Geburtstag von Martin Walser

„In dem Augenblick, in dem ich schreibe, bin ich unsterblich“

Stand
Autor/in
Frank Hertweck

Am 24. März 2022 wird Martin Walser 95 Jahre alt. Er ist neben wenigen anderen einer der prägenden Schriftsteller der bundesrepublikanischen Epoche. Aber er war nie nur das, nie ein reiner BRD-Schriftsteller, wie so viele seiner Generation, sondern einer, der sich sehr früh in Romanen mit der deutschen Einheit auseinandergesetzt und immer an sie geglaubt hat – sozusagen sein Alleinstellungsmerkmal.

Walsers Bücher wie „Ein fliehendes Pferd,“ (1978), „Verteidigung der Kindheit“ (1992), „Ein liebender Mann“ (2008), „Muttersohn“ (2011) waren Bestseller, seine Essays und Interviews Aufreger ihrer Zeit.

Als Intellektueller war er einer, der immer unabhängig dachte und sich nicht vor umstrittenen Positionen scheute. Allein seine Auseinandersetzungen mit der deutschen NS-Vergangenheit und dem Holocaust haben eine Epoche geprägt von „Unser Auschwitz“ (1965), „Auschwitz und kein Ende“ (1979) bis hin zur Friedenspreisrede 1998.

Anfang März hat das Deutsche Literaturarchiv Marbach den Vorlass von Martin Walser erworben.

Gespräch über Martin Walser mit SWR2 Literaturchef Frank Hertweck:

Eine Novelle über einen katastrophalen Segeltörn, der Leben verändert, und gleichzeitig eine Fahrt ins private Glück: Mit „Ein fliehendes Pferd“ von 1978 schreibt Martin Walser endlich seinen ersten Bestseller.
Eine Novelle über einen katastrophalen Segeltörn, der Leben verändert, und gleichzeitig eine Fahrt ins private Glück: Mit „Ein fliehendes Pferd“ von 1978 schreibt Martin Walser endlich seinen ersten Bestseller. Bild in Detailansicht öffnen
Das Porträt des Künstlers als junger Mann (1978)
Das Porträt des Künstlers als junger Mann (1978) Bild in Detailansicht öffnen
„Clowns sind wir  Der Zirkus heißt Kultur  Die Nummer heißt  Watschen mit Gesang  Streicheln dürfen wir uns nur  draußen im dunklen Gang.“ – Martin Walser zum 65. Geburtstag von Marcel Reich-Ranicki.  (1985)
„Clowns sind wir / Der Zirkus heißt Kultur / Die Nummer heißt / Watschen mit Gesang / Streicheln dürfen wir uns nur / draußen im dunklen Gang.“ – Martin Walser zum 65. Geburtstag von Marcel Reich-Ranicki. (1985) Bild in Detailansicht öffnen
Nichtrauchen ist für Martin Walser ein Fremdwort. Auch wenn er nicht raucht, muss die Möglichkeit dieses Genusses genossen werden. Darum kann er nicht aufhören.
Nichtrauchen ist für Martin Walser ein Fremdwort. Auch wenn er nicht raucht, muss die Möglichkeit dieses Genusses genossen werden. Darum kann er nicht aufhören. Bild in Detailansicht öffnen
Geboren am Bodensee, am Bodensee lebend, zwischen dem Geburts- und dem Wohnort liegen knapp 50 km. Aber man kann auch in die andere Richtung fahren, um sie zu verbinden.
Geboren am Bodensee, am Bodensee lebend, zwischen dem Geburts- und dem Wohnort liegen knapp 50 km. Aber man kann auch in die andere Richtung fahren, um sie zu verbinden - so geschehen in der Dokumentation „Mein Diesseits – Unterwegs mit Martin Walser“ (2017). Bild in Detailansicht öffnen
Die Friedenspreisrede von 1998: Es gibt sein Leben davor und danach. Ab jetzt wird man nie mehr neutral über Martin Walser sprechen können – bis heute.
Die Friedenspreisrede von 1998: Es gibt sein Leben davor und danach. Ab jetzt wird man nie mehr neutral über Martin Walser sprechen können – bis heute. In seiner Dankrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hatte Walser mit Blick auf die deutsche NS-Vergangenheit unter anderem von einer "Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken" gesprochen. In den hitzigen Debatten nach dieser Rede wurde Walser von manchen Antisemitismus und Verharmlosung der Verbrechen im Nationalsozialismus vorgeworfen. Später räumte Walser ein, zu Missverständnissen Anlass gegeben zu haben. Er bedauerte, die Rede so gehalten zu haben und nannte sie einen "Fehler". - Welche Auswirkungen die Rede hatte, zeigt auch die Fernseh-Dokumentation "Martin Walser - Eine Deutschlandreise". Bild in Detailansicht öffnen
Ein Leben im Zug. Martin Walser auf seiner „never ending Lesetour“. Dienst am Buch nennt man das.
Ein Leben im Zug. Martin Walser auf seiner „never ending Lesetour“. Dienst am Buch nennt man das. Bild in Detailansicht öffnen
Martin Walser zusammen mit Autor und Regisseur Frank Hertweck beim Dreh des Dokumentarfilms  „Martin Walser – Eine Deutschlandreise“ 20012002. Anlaß: Der 75. Geburtstag am 24. März 2002.
Martin Walser zusammen mit Autor und Regisseur Frank Hertweck beim Dreh des Dokumentarfilms „Martin Walser – Eine Deutschlandreise“ 2001/2002. Anlass: Der 75. Geburtstag am 24. März 2002. Bild in Detailansicht öffnen
Berliner Ensemble 2001: Nach der Friedenspreisrede kommt es auf der Lesereise mehrfach zu Tumulten. Walser liest unter Polizeischutz.
Berliner Ensemble 2001: Nach der Friedenspreisrede kommt es auf der Lesereise mehrfach zu Tumulten. Walser liest unter Polizeischutz. Bild in Detailansicht öffnen
„Der Lebenslauf der Liebe“, die Geschichte von Susi Gern. Das Signieren, der zweite Teil jeder Lesung, und mindestens genauso ausdauernd betrieben.
„Der Lebenslauf der Liebe“, die Geschichte von Susi Gern. Das Signieren, der zweite Teil jeder Lesung, und mindestens genauso ausdauernd betrieben. Bild in Detailansicht öffnen
Martin Walser auf der Bühne: „Der Ich-Erzähler“. Ein Leben für die und in der Öffentlichkeit. Das Private ist nicht politisch, sondern das Politische privat.
Martin Walser auf der Bühne: „Der Ich-Erzähler“. Ein Leben für die und in der Öffentlichkeit. Das Private ist nicht politisch, sondern das Politische privat. Bild in Detailansicht öffnen
Martin Walser und Günter Grass: die Dioskuren der deutschen Nachkriegsliteratur, politisch lange Weggefährten, aber über der deutschen Einheit entzweit.  Nur einer von beiden hat den Literaturnobelpreis bekommen.
Martin Walser und Günter Grass: die Dioskuren der deutschen Nachkriegsliteratur, politisch lange Weggefährten, aber über der deutschen Einheit entzweit. Nur einer von beiden hat den Literaturnobelpreis bekommen. Bild in Detailansicht öffnen
„Ein Leben für Alle und Keinen“, so lautet der Untertitel von „Also sprach Zarathustra“. Ein Motto für Friedrich Nietzsche und für den bekennenden Nietzscheaner Martin Walser.
„Ein Leben für Alle und Keinen“, so lautet der Untertitel von „Also sprach Zarathustra“. Ein Motto für Friedrich Nietzsche und für den bekennenden Nietzscheaner Martin Walser. Bild in Detailansicht öffnen
Zu Walsers 85. Geburtstag fand im Literaturhaus Stuttgart eine Veranstaltung statt, die dann die Rahmenhandlung der TV-Dokumentation "Martin Walser - Ein Leben für Alle und Keinen" bildete. Ein Lesespiel anhand des Gesamtwerks: Die Zuschauer bestimmten Band und Seitenzahl, Walser las und kommentierte. Eine ganz gegenwärtige Reise in die Vergangenheit, moderiert von Thea Dorn.
Zu Walsers 85. Geburtstag fand im Literaturhaus Stuttgart eine Veranstaltung statt, die dann die Rahmenhandlung der TV-Dokumentation "Martin Walser - Ein Leben für Alle und Keinen" bildete. Ein Lesespiel anhand des Gesamtwerks: Die Zuschauer bestimmten Band und Seitenzahl, Walser las und kommentierte. Eine ganz gegenwärtige Reise in die Vergangenheit, moderiert von Thea Dorn. Bild in Detailansicht öffnen
Walsers 90. mit Denis Scheck als Chauffeur. Eine mehrtätige Autofahrt durchs Walserland am Bodensee, eine biographische Spurensuche: Landschaft als Inspiration von Literatur. Das Kennzeichen FN – MW 27: Friedrichshafen, Martin Walser, geboren 1927.
Walsers 90. mit Denis Scheck als Chauffeur. Eine mehrtätige Autofahrt durchs Walserland am Bodensee, eine biographische Spurensuche: Landschaft als Inspiration von Literatur. Das Kennzeichen FN – MW 27: Friedrichshafen, Martin Walser, geboren 1927. Bild in Detailansicht öffnen
Dreharbeiten zu „Mein Diesseits“: Ein Auto, Autor, ein Literaturkritiker als Fahrer und Fragender, ein Gesamtwerk auf dem Rücksitz und ein stiller Beobachter.
Dreharbeiten zu „Mein Diesseits“: Ein Auto, Autor, ein Literaturkritiker als Fahrer und Fragender, ein Gesamtwerk auf dem Rücksitz und ein stiller Beobachter. Bild in Detailansicht öffnen
Spielbank Friedrichshafen: Denis Scheck und Martin Walser beim Dreh zu „Mein Diesseits“.
Spielbank Friedrichshafen: Denis Scheck und Martin Walser beim Dreh zu „Mein Diesseits“. Das Geld war Fake, aber die Leidenschaft zum Spielen trotzdem echt. Bild in Detailansicht öffnen
Spielbank Friedrichshafen: Der, der immer auf der Seite der Besiegten und Ohnmächtigen war, hier schaut er aus wie ein Sieger – für wie lange?
Spielbank Friedrichshafen: Der, der immer auf der Seite der Besiegten und Ohnmächtigen war, hier schaut er aus wie ein Sieger – für wie lange? Bild in Detailansicht öffnen

Drei TV-Dokumentationen über Martin Walser

Die drei Fernseh-Dokumentarfilme „Martin Walser – Eine Deutschlandreise“ (2001), „Martin Walser – Ein Leben für Alle und Keinen“ (2012) und „Mein Diesseits – Unterwegs mit Martin Walser“ (2017) bilden eine Art Trilogie. Produziert wurden sie zu jeweiligen runden Geburtstagen Martin Walsers.

Zum 95. Geburtstag von Martin Walser stehen jetzt schon alle drei Dokumentationen hier und in der ARD Mediathek bis zum 24.3.2023 online.

Sie unterscheiden sich in der Machart, der Konzeption und in der filmischen Gestaltung fundamental. Es gibt wenige Redundanzen. Sie sind selbst Zeitdokumente, die in ihrer Abfolge das filmische Nachdenken über einen bedeutenden deutschen Schriftsteller präsentieren.

SWR2 lesenswert Kritik Martin Walser, Cornelia Schleime: Das Traumbuch. Postkarten aus dem Schlaf

Martin Walser hat Geburtstag! Und den feiert sein Verlag mit einem "Traumbuch". Viele Jahrzehnte lang hielt Walser in seinen Tagebüchern Träume fest, von denen pünktlich zum 95. Geburtstag eine Auswahl als "Traumbuch" erscheint. Darin gibt Walser sich als Gegner der Psychoanalyse zu erkennen, weil Träume für ihn nichts sind, was erst gedeutet werden müsste, um Aufschluss über eine Person zu gewinnen. Träume sind, was sie sind. Kleine Erzählungen im besten Fall.

Rowohlt Verlag, 144 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-49800-319-7

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Buchkritik Auf die Sprache vertrauen: Martin Walser - Sprachlaub oder: Wahr ist, was schön ist

Martin Walsers „Sprachlaub“, das sind zumeist kurze Stücke, mal nur ein Satz, mal wenige Strophen, manche gereimt, oft mit traumhaften Zügen. Walsers Tochter Alissa hat Aquarelle dazu gemalt.
Ein dichtes, berührendes, schönes Buch, das beweist, dass der Autor - und der Leser? - immer noch auf eines vertrauen kann: die Sprache.
Rezension von Frank Hertweck.
Rowohlt Verlag, 144 Seiten, 28 Euro
ISBN: 978-3-498-00239-8

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