SWR2 lesenswert Kritik

Markus Theunert – Jungs, wir schaffen das. Ein Kompass für Männer von heute

Stand
Autor/in
Martina Wehlte

Das Mannsein heute ist kompliziert geworden: Alte Rollenmuster werden zunehmend in Frage gestellt. Was gilt eigentlich noch als speziell „männlich“? Und muss es solche Kategorien überhaupt geben?

Auch toxische Männlichkeit kann als Symptom einer Identitätskrise gelesen werden. Der Schweizer Psychologe Markus Theunert stellt Erkenntnisse der Geschlechterforschung und Erfahrungen aus der Männerarbeit mit viel Sachverstand und Humor dar.

So wichtig das Erkämpfen der Frauenrechte seit über hundert Jahren ist, so notwendig sind die Gender-Debatten der vergangenen Jahre. Besonders jetzt, wo durch starke Migration aus anderen Sozialstrukturen unser gesellschaftlicher Konsens über die Gleichstellung der Geschlechter herausgefordert wird.

Dabei erweist es sich als wenig hilfreich, wenn pauschal ein Täter-Opfer-Klischee bemüht wird:  hier die unterdrückte Frau, dort der privilegierte Mann. Eine vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2017 zeigte, dass 80% der Männer eine Gleichstellungspolitik nicht nur befürworten, sondern sogar für partnerschaftlich, wirtschaftlich und gesellschaftlich notwendig halten.

Wie sie aber auszusehen hat, ist strittig und ihre Umsetzung daher schleppend. Um Gründe für dieses Dilemma zu finden, muss auf gesellschaftliche Strukturen, auf Stereotypen und Rollenbilder geschaut werden. So beschreibt Markus Theunert das Mannsein heute in seinem jüngsten Buch als ein „Angespanntsein zwischen Größenfantasie und Versagensangst“.

Erwartungshaltungen ans Mannsein

Der profilierte, gleichwohl nicht unumstrittene Psychologe und Vertreter einer geschlechterreflektierten Männerpolitik weiß aus seiner praktischen Arbeit mit Jungen, Männern und Vätern, dass der kulturgeschichtliche Imperativ, wie ein Mann zu sein habe, eine Erwartungshaltung zementiert hat, die der Einzelne nur schwer aufbrechen kann.

Die bipolare Definition von Weiblichem und Männlichem führt für den Mann häufig zur Verleugnung innerer Bedürfnisse, auch zu einer Selbst- und Fremdausbeutung, die nur zu gut die Mechanismen des westlichen Kapitalismus bedient. Dessen Hauptakteur ist der weiße cis-Mann, also derjenige, dessen Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

Die Rolle des weißen cis-Mannes ist strukturell vorgegeben

Die Rolle des patriarchalen, weißen cis-Mannes ist keine frei gewählte, sondern – auch – eine strukturell vorgegebene, wie der Schweizer in seinen viel beachteten sozialpsychologischen Fachpublikationen dargelegt hat.

Unter dem Titel Jungs, wir schaffen das richtet er nun geradezu provokativ einen Appell zur kritischen Selbstreflexion und Achtsamkeit an „die große Gruppe der „ganz normalen“ Männer: weiße Haut, westeuropäische Wurzeln, christliche Werte, heterosexuelles Begehren, unauffälliges Äußeres, robuste Performance – und eigentlich gern „Mann“.

Ratgeber zu Selbstbefragung und Achtsamkeit

Der Autor gibt dem vielgescholtenen weißen cis-Mann eine analytische Bestandsaufnahme im Kontext der herrschenden Männlichkeitsideologie an die Hand, und er versteht sich als Ratgeber zum Innehalten und praktischen Üben in Selbstbefragung und Achtsamkeit. Dabei zeichnet er nicht ein Bild des ‚neuen Mannes‘, sondern er zeigt auf, wie der Einzelne seinen persönlichen Weg als Mann findet.

Jenseits toxischer Männlichkeit, die auf Stärke, Gewalt, Status, Risikoverhalten und Weiblichkeitsabwehr ausgerichtet ist und sowohl nach außen als auch auf den Mann selbst vergiftend wirkt. Das ist eine überzeugende Konzeption und eine gelungene Mischung, – fundiert in der Sache, offen im breiten Blickwinkel auf das Fluide der Geschlechter und einfühlsam im Ton. Ein wegweisendes Buch für eine große Gruppe verunsicherter, gerade auch jüngerer Männer ohne taugliche Vorbilder in vorangegangenen Generationen.

Mehr Literatur zum Thema Geschlechterrollen

Buchkritik Richard Russo - Mittelalte Männer

Der Amerikaner Richard Russo ist Spezialist für krisenanfällige Männer. Im Grunde könnte jeder seiner Romane „Mittelalte Männer“ heißen. Jetzt gibt es tatsächlich ein Buch mit genau diesem Titel. Und wiederum ist es sehr umfangreich.
Rezension von Christoph Schröder.
Dumont Verlag, 608 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-8321-8116-1

SWR2 lesenswert Magazin SWR2

Buchkritik Frans de Waal – Der Unterschied. Was wir von Primaten über Gender lernen können

Frans de Waal ermutigt uns dazu, unsere Biologie zu akzeptieren und gleichzeitig Genderfragen ernst nehmen. | Rezension von Barbara Dobrick | Aus dem Englischen von Claudia Arlinghaus | Klett-Cotta Verlag, 478 Seiten, 28 Euro | ISBN 978-3-608-98639-6

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Buchkritik Fränzi Kühne - Was Männer nie gefragt werden. Ich frage trotzdem mal

Welche Krawatte trägt Heiko Maas? Wie vereinbart Markus Söder Amt und Familie? Solche Fragen werden Männern selten gestellt. Die Unternehmerin und Aufsichtsrätin Fränzi Kühne macht es genau darum: Entstanden ist dabei ein unterhaltsames wie kluges Buch, das zeigt, wie sehr Menschen in ihrem Denken noch an alten Geschlechterrollen festhalten.
Rezension von Helen Roth.
S. Fischer Verlag, 240 Seiten, 14 Euro
ISBN 978-3-596-70582-5

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Stand
Autor/in
Martina Wehlte