SWR2 lesenswert Kritik

J.O. Morgan – Der Apparat

Stand
Autor/in
Martin Grzimek

Dinge per Kabel verschicken? Der schottische Autor J.O. Morgan spielt es durch. In elf Kurzgeschichten führt er vor, welchen Einfluss die SciFi-Technik der Teletransportation von Material und Lebewesen auf den Menschen und die Gesellschaft haben könnten.

Mr und Mrs Pearson nehmen an einem geheimen Experiment teil. Eines Tages wird in ihrer Küche ein klobiger Apparat aufgestellt, der auf den ersten Blick wie ein großer Kühlschrank aussieht. Dicke Kabel verbinden ihn mit einem grauen Kasten an der Straße.

In der Küche ist es still, auf dem Apparat blinkt lediglich ein bernsteinfarbenes Lämpchen. Plötzlich ertönt ein ohrenbetäubendes Kratzgeräusch. Danach lässt sich die schwere Tür des Apparates öffnen. Im vorher leeren Innenraum finden die verdutzten Eheleute einen kleinen Plastiklöffel. Klingt unspektakulär, doch sind die Pearsons Zeugen einer technischen Entwicklung geworden, die von nun an das Leben auf der Erde fundamental verändern wird: die Teleportation.

Praktischer Umzug per Teleportation

Mit dieser kleinen Geschichte, erzählt im etwas betulichen Stil einer Retro-Science-Fiction, beginnt der 45-jährige Schotte J.O. Morgan seinen Roman „Der Apparat“. Die Gattungsbezeichnung ist irreführend. Eigentlich versammelt das Buch elf Kurzgeschichten, in denen das Thema der Technik der Teleportation von ihren experimentellen Anfängen bis zur elektronischen Vervollkommnung durchgespielt wird.

Im Kapitel „Einbahn“ etwa begegnen wir Mrs Carter, einer alten Dame, die aus ihrem Haus auszieht und dafür ein Umzugsunternehmen beauftragt hat. Ein Teil ihres Mobiliars soll per Teleportation verschickt werden. Es verschwindet im Laderaum eines speziellen LKWs und ist unmittelbar darauf schon an seinem Bestimmungsort angelangt.

Besondere Dinge aber, wie ihre „entenblauen“ Porzellantassen aus Shanghai, will Mrs Carter lieber selbst mitnehmen. Emma, die Leiterin der Umzugsaktion, versucht ihr klarzumachen, dass beim Tele-Versand nichts beschädigt wird. Aber sie versteht die Zweifel der alten Dame und kommt beispielhaft auf den Versand von Büchern zu sprechen.

„Sagen wir, ein Buch kommt an, und all die Wörter sind vertauscht“, erklärt sie. „Immer noch dieselben Buchstaben, aber in anderer Reihenfolge. Wäre es dann immer noch dasselbe Buch? ... Dieselbe Menge Tinte, Papier, Karton und Stoff, aber … na ja, umgestellt eben. Oder wenn die Wörter sich vermischten. Ein dichtes schwarzes Loch mitten auf jeder Seite.“

Natürlich sei das nur ein Schreckensszenario, das sei so noch nie passiert, beschwichtigt Emma die alte Dame. Als dann aber das in Öl gemalte Portrait des verstorbenen Mannes von Mrs Carter in den Tele-Transporter gebracht wird, entspinnt sich eine Diskussion, ob nicht doch am Bestimmungsort nur eine wertlose Kopie des Bildes ankomme.

Kann man auch Menschen, Tiere und Kriege teleportieren?

Auf diese Weise flicht J.O. Morgan sehr geschickt grundsätzliche Fragen in seine Geschichten ein wie etwa die über den Verlust des ideellen Wertes eines Originals durch seine Reproduktion. Brisant werden solche Überlegungen, wenn Lebewesen teleportiert werden. Könnte man dabei nicht sogar krankhafte oder beschädigte Teile durch gesunde und intakte ersetzen? Und welche Auswirkungen hätte die Teleportation auf Kriege, wie entsetzlich gar, wenn Hacker das System manipulierten?

J.O. Morgan geht es in seinen Geschichten allerdings nicht um die Raffinessen des Systems selbst. Ihn interessieren vor allem seine Auswirkungen auf unser alltägliches Leben. Mit einem Mal wären nämlich sämtliche herkömmlichen Transportmittel überflüssig, es gäbe keine Autos mehr, Einkaufsläden würden verschwinden, weil man sich alle Lebensmittel von jedem beliebigen Ort in Sekundenschnelle ins Haus schicken lassen könnte. Da keine Menschen mehr unterwegs sein müssten, wären Dörfer und Städte wie verödet.

Die gute alte Technik des Beamens

In den meisten der elf, recht konventionell erzählten Geschichten folgt man dem Autor, der bisher vor allem Lyrik geschrieben hat, mit einem Schmunzeln und manchmal auch mit leisem Erschrecken. Sie erinnern ein wenig an die frühen, heute verstaubt wirkenden Raumschiff-Enterprise-Fernsehserien, die das „Beamen“ in die Welt der Science-Fiction eingeführt haben.

Sie erinnern uns aber auch an die für uns sehr reale und noch gar nicht so alte Entwicklung der Telekommunikation, die mit klobigen Telefonapparaten begann, die wir nun aber als Smartphone in der Hosentasche mit uns herumtragen, um mit Menschen rund um die Welt jederzeit in Wort und Bild in Kontakt treten zu können. Mit J.O. Morgans „Der Apparat“ lässt sich dieses Eindringen einer revolutionären Technik in unser Alltagsleben neu nachvollziehen.

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Autor/in
Martin Grzimek