Muss man nur unser Geldsystem ändern, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen? Das glauben die Anhänger des Bitcoin. Der Literaturkritiker Ijoma Mangold verrät in seinem neuen Buch, warum auch er sich vom Hype um die Kryptowährung anstecken ließ.
dtv Verlag, 256 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-423-28312-0
Der 1971 geborene Ijoma Mangold ist ein ausgewiesener Literaturkritiker, beheimatet bei der Wochenzeitung "DIE ZEIT", bekannt aus dem „Lesenswert Quartett“ und langjähriges Jury-Mitglied der SWR Bestenliste. Das Thema seines neuen Buches lässt aufhorchen: „Die orange Pille. Warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist“ - Oliver Pfohlmann.
Der Bitcoin – ist das wirklich eine digitale Währung? Oder nicht eher eine Religionsgemeinschaft? Für Letzteres spricht Ijoma Mangold zufolge so einiges. Da wäre zum Beispiel sein geheimnisvoller Erfinder, der sich Satoshi Nakamoto nannte, nie gesehen wurde und seit Jahren kein Lebenszeichen mehr hinterlassen hat. Also ein Internet-Messias, der ganz im Erlöserstyle in den Krypto-Himmel aufgestiegen ist? Hinterlassen hat er – oder sie? – jedenfalls eine heilige Schrift: das 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, veröffentlichte „White Paper“, für echte Gläubige eine der wichtigsten Schriften der Menschheitsgeschichte.
Aber auch mit einem initialen Schöpfungsakt könne der Bitcoin aufwarten, so Mangold in seinem Buch über die Kryptowährung: ein „Es werde Licht“ in Form der Schaffung der ersten digitalen Münzen ein Jahr später. Und zwar zusammen mit dem ersten Block der berühmten „Blockchain“, in der bis heute alle Transaktionen der Kryptowährung lückenlos verzeichnet werden.
Der Literaturkritiker vergleicht diesen Schöpfungsakt sogar mit einer unbefleckten Empfängnis, denn diese ersten Bitcoin, die heute mehrere Milliarden Dollar wert sind, wurden vom Bitcoin-Erfinder nie angerührt. Wie jeder überprüfen könne, eben aufgrund besagter Blockchain.
Hinzu kommen Glaubenskriege um die reine Lehre und immer mehr Gläubige, darunter überraschend viele junge Menschen, die in Erwartung einer paradiesischen Zukunft leben, in der alle – oder doch die meisten – Probleme auf der Welt gelöst sein werden. Warum? Weil es irgendwann anstelle von vielen wertlosen Papierwährungen und ihren Götzenpriestern, den teuflischen Zentralbanken, nur noch den Bitcoin geben wird, die erste wertstabile Währung, die niemandem gehöre und die nicht manipuliert werden könne. Nie werde es auf der Welt gerechter zugehen, und selbst unsere heutigen Energie- und Ressourcenprobleme, sagen Gläubige, würden wir mithilfe des Bitcoin besser in den Griff bekommen. Amen.
Angesichts solcher Heilsversprechen kommt Ijoma Mangolds Buch über den Bitcoin und die dahinterstehende Bewegung zur rechten Zeit. Schließlich hat die neue Währung bislang außer Kurskapriolen und Skandale um betrügerische Kryptobörsen wenig vorzuweisen. Von ihrem enormen Energieverbrauch ganz zu schweigen.
Das Buch des bekannten Literaturkritikers mit dem ironischen Titel „Die orange Pille“ – eine Anspielung auf die berühmte augenöffnende „rote Pille“ aus „Matrix – hat nur einen Haken: Mangold ist seit kurzem selbst, um im Bild zu bleiben, konvertiert und sein Buch ist das Evangelium eines, Zitat, „neu erweckten Propheten“.
Denn wie so viele hat sich auch Ijoma Mangold erst während des Lockdowns mit dem Thema Bitcoin beschäftigt. Es sind vor allem dessen erstaunliche technologische, ökonomische und philosophische Hintergründe – im Buch in vorzüglich lesbarer Form zusammengefasst –, die ihn seither nicht mehr losließen. Und dann – sei er plötzlich selbst wie Alice im Wunderland im Kaninchenbau eines radikalen Weltbildes verschwunden. Das, wie der Autor selbst zugibt, einige Ähnlichkeiten mit Verschwörungserzählungen aufweist.
Zum Glück hat seine neue Begeisterung niemanden mehr überrascht und auch misstrauischer gemacht als den 52-jährigen Kritiker selbst. Lesenswert ist Mangolds Buch – und zwar für Skeptiker ebenso wie für Anhänger – nicht zuletzt deshalb, weil der Autor seine neuen Überzeugungen immer wieder in Frage stellt. „Die orange Pille“ ist daher weniger eine Anlageempfehlung als vielmehr eine faszinierende intellektuelle Abenteuerreise.
Und zwar durch unsere Welt, in der das Finanzsystem gefühlt alle paar Jahre von den allmächtigen Zentralbanken gerettet werden muss und das Geld inzwischen im Sauseschritt an Wert verliert. Doch wenn Geld, wie Mangold glaubt, so etwas wie die Schattenseite all unserer sozialen Handlungen ist, wie sähe eine Welt aus, in der es keine Banken mehr bräuchte, weil jeder seine eigene wäre? Und in der das Geld künstlich knapp gehalten wird und daher dazu animiert, es zu sparen statt zu verkonsumieren? Die Antwort wird vielleicht einmal El Salvador geben, für Bitcoiner so etwas wie das Gelobte Land. Denn dort ist die Kryptowährung seit kurzem ein gesetzliches Zahlungsmittel.