Neue Hörbücher, vorgestellt in SWR Kultur am Nachmittag: Autoren oder große Sprecher wie Christian Brückner lesen Klassiker der Weltliteratur, ausgezeichnete Bücher oder Romane der Stunde.
Hörbuch Entlarvend: „Die Tasche“ von Houssein Kahin und Kornelia Wald als vielstimmige Lesung
Ein großer Tag für die Schule in einem Scherbenviertel: Sie soll mit dem Diversity-Preis der Bundesregierung ausgezeichnet werden, für vorbildliche interkulturelle Arbeit. Mohammed, ein Einser-Schüler, soll den Preis stellvertretend entgegennehmen, doch er hält die Preisverleihung für eine Farce. Denn unter der Oberfläche brodelt es gewaltig. Dass das alles ausgerechnet an diesem Nachmittag hervorbricht, liegt an einer großen, schwarzen Sporttasche, die bei der Veranstaltung unter der Bühne der Aula liegt. Das Ensemble bestehend aus Mo Issa, Via Jekeli, Max Hegewald und Luise von Finckh schlüpft in unterschiedliche Rollen, liest Chat- und Audionachrichten und liefert souverän eine hochspannende Lesung ab, die zeigt, wie erschreckend leicht Misstrauen und Vorurteile eine Gemeinschaft vergiften können.
Hörbuch Niedlich: Andreas Fröhlich liest „Die Geschichte vom kleinen Weihnachtsstern“ von Benjamin Biehn
Der kleine Stern Sirius ist vom Himmel gefallen. Die Maus Pippa und das Kaninchen Bommel wollen ihm helfen, wieder nach Hause zu kommen. Aber wer kann so hoch fliegen? Der Weihnachtsmann? Damit dieser vorbeikommt, müssen sie ein echtes Weihnachtsfest auf die Beine stellen. Sprecher Andreas Fröhlich legt sich bei den vielen Tieren des Waldes richtig ins Zeug und macht diese niedlich-lustige Weihnachtsgeschichte zu einem Ereignis. Man kann sich die 24 ½ Kapitel bis Weihnachten aufteilen – mal sehen, wer das schafft. Denn spannend ist die Frage, was denn ein richtiges Weihnachtsfest ausmacht, bis zum Schluss.
Hörbuch Feinfühlig: Jördis Triebel liest „Die Stunde der Mauersegler“ von Margarethe Adler
Vier Frauen, vier Generationen, eine Familie zerrissen zwischen Ost und West. Aus dieser Ausgangslage versteht Margarethe Adler es, einen vielschichtigen Roman zu machen, den Jördis Triebel in all seinen Facetten mit ihrer Stimme zu gestalten weiß. Sie erzählt von vermeintlicher Regimetreue, von spektakulärer Flucht und geduldeter Ausreise, vom Verlust der Heimat und vom Groll der Zurückgebliebenen. Wenn aus mangelndem Verständnis noch nicht zusammengewachsen ist, was zusammengehört, dann leistet dieses Hörbuch einen wichtigen Beitrag.
35 Jahre Mauerfall Grandios vertonte Graffitis: Wolfgang Neuss liest „Die Mauer. Die größte Wandzeitung der Welt"
Hörspielmacher Ronald Steckel hat 1983 jene Mauersprüche gesammelt, die dort als Kritzeleien und Graffiti verewigt worden waren - bevor man begann, sie zu übertünchen. Einsprechen und interpretieren ließ er die Zitate als Hörstück beim damaligen SFB von der Schauspiel- und Kabarett-Legende Wolfgang Neuss. Entstanden ist eine spannende Mischung: Neuss liest ironisch, keck, nachdenklich - er flüstert, schreit und begehrt auf. Ein akustisches Mauermuseum - das Tagebuch einer geteilten Stadt als lebendiges Zeitdokument.
Hörbuch Lustig: „Zu faul zum Nichtstun. Geschichten“ - Horst Evers
Egal, ob es sich um die ewigen Baustellen, die Bahn oder den unzuverlässigen Paketboten handelt: wenn der Autor und Kabarettist Horst Evers alle paar Jahre einen neuen Band mit Geschichten veröffentlicht, ist es immer erheiternd. Denn er macht mit seinen humorgien, skurrilen Geschichten, den grauen Alltag und seine Probleme leichter zu ertragen. Vor allem, wenn er seine Geschichten - ganz unverwechselbar - selber liest.
Hörbuch Bewegend: Eva Mattes und Laura Maire lesen „Der Wind kennt meinen Namen“ von Isabel Allende
Gut 80 Jahre trennen die beiden Schicksale voneinander, von denen Isabel Allende erzählt, und doch haben sie eines gemeinsam: Ein Kind, das bei der Flucht vor Gewalt allein zurückbleibt. Samuel, der 1938 mit einem Kindertransport nach England geschickt wird. Und Anita, die 2019 an der US-amerikanischen Grenze von ihrer Mutter getrennt wird. Eva Mattes ist die souveräne und zugleich wandelbare Erzählerin dieser beiden Geschichten, zudem gibt Laura Maire Anita ihre Stimme, die voll kindlicher Verzweiflung steckt, aber auch voller Fantasie, um ihrer Situation wenigstens gedanklich zu entfliehen. Eine große, verzweigte Geschichte großartig umgesetzt.
Hörbuch Mitreißend: Gabriele Blum liest „Gute Ratschläge“ von Jane Gardam
Eliza schreibt Briefe an ihre Nachbarin Joan, die einfach abgehauen ist. Eine Antwort bekommt sie nie, aber das hält sie nicht davon ab, immer weiterzuschreiben. Die Briefe werden zum Tagebuch – nach und nach erfahren wir immer mehr über Elizas Nachbarschaft, deren Geheimnisse und über das Innenleben der Briefeschreiberin, das längst nicht so stabil ist, wie es zunächst scheint. Gabriele Blum macht diese Briefe im wahrsten Sinn des Wortes lebendig und wechselt mit Leichtigkeit vom Plauderton zu ernsthaften Schilderungen und wieder zurück – ein Hörbuch, dem man sich einfach hingeben kann.
Hörbuch Königlich: Matthias Brandt liest „Reise nach Laredo“ von Arno Geiger
Seit er kein König mehr ist, ist Karl nur noch ein alter Mann mit Gicht, der seinen Gedanken nachhängt. Dann begibt er sich mit dem Jungen Géronimo auf eine ungewöhnliche Reise und erlebt, komprimiert auf wenige Wochen, vieles, was ihm bislang verwehrt geblieben ist. Matthias Brandt zeigt hier einmal mehr seine Gabe, die tieferliegende Bedeutung scheinbar schlichter Sätze freizulegen.
Hörbuch Beeindruckend - „Reichskanzlerplatz“ von Nora Bossong
Magda Goebbels gehört zu den bekanntesten Repräsentantinnen des Nationalsozialismus, eine Vorzeigemutter und – aus heutiger Sicht – skrupellose Fanatikerin.
Nora Bossong schildert nicht nur diese Perspektive, sondern darüber hinaus auch die Liebesgeschichte zwischen Magda und Hans. Eine Affäre aus der Zeit, bevor Magda Joseph Goebbels heiratete. Dadurch entsteht ein facettenreiches Bild der damaligen Ereignisse, das der Schauspieler Cédric Cavatore souverän hörbar macht.
Aufgeweckt: Theresia Enzensberger liest „Schlafen“
Wir alle brauchen Schlaf. Theresia Enzensberger widmet diesem biologischen und doch reglementierten Bedürfnis politische Gedanken, geht Assoziationen nach und fragt nach seinem gesellschaftlichen Stellenwert. Dieser Essay bietet viele bedenkenswerte Aspekte und wird schließlich von einer Erzählung abgerundet, die eindrucksvoll zeigt, wie zart die Linie zwischen Wachsein und Schlaf, Traum und Albtraum sein kann.
Hörbuch Lustig - Tilman Birr liest „Wie sind Sie hier reingekommen?“
Wolfgang zieht aus Westfalen nach Berlin, um dort Sozialwissenschaften zu studieren. Was wie die normalste und langweiligste Angelegenheit der Welt klingt, wird im Hörbuch von Tilman Birr zu einem Feuerwerk der Anekdoten, Milieustudien und Parodien. Der Text lebt von seiner Beobachtungsgabe und die Lesung von seiner Wandelbarkeit – herausgekommen ist ein sehr witziges Hörbuch und ein großer Lesebühnenabend fürs private Wohnzimmer.
Hörbuch Glück im Unglück: Anne Kanis liest „Auf Erden“
Sunnys Leben war bislang eigentlich wie ihr Name: Glücklich. Doch dann kommt es dicke: Ihr Freund verlässt sie und ihr über alles geliebter Vater stirbt. Aber sie hat die vielen Erinnerungen an ihn und an ihre Jugendfreundinnen Jessi, Alma und Katharina, mit denen sie durch das Berlin der 90er Jahre gezogen ist. Anne Kanis verwebt in ihrem Text Sunnys Gegenwart und ihre Erinnerungen sehr geschickt. Ihre leichte Berliner Färbung passt perfekt zu der melancholischen Stimmung der Geschichte und zu ihrer reflektierenden Erzählweise. Das Glück kann schnell zu einer Erinnerung werden, aber dann schleicht es sich manchmal fast unmerklich wieder heran.