Gespräch und Lesung

Gespräch mit Poeta Laureatus Michael Krüger zum dritten Gedicht

Stand
Interview
Alexander Wasner
Autor/in
Michael Krüger

Im Gespräch mit Michael Krüger um „Das dritte Gedicht“ geht es um die Rolle der Religion im Ukrainekrieg, um Sprachlosigkeit und darum, wie gerne der amtierende Poeta Laureatus mal ein Friedensgedicht schreiben würde.

Das dritte Gedicht

Im alten Russland sassen die Bojaren auf Misthaufen
gleichwie Hiob und sagten:Das ist mein Kaisertum.
Sie waren kundig in der Rede,aber unkundig im Herzen,
daran hat sich nichts geändert.Die Luft damals
war voller Mythen,dunkel war der Mond und die Sterne
waren tief verstört,und der Kummer fand nicht mehr heim.
In den Wäldern wurden Worte gesammelt,die der Seele
nützlich waren,sie wurden getrocknet und mit Wasser
aufgebrüht.Nachts gingen Wölfe durchs Dorf,
die zeigten kein Mitleid gegen die Schafe.
In einer Erdhöhle lebten Mönche,die tranken das Wasser
vom Fluss und bewegten die nielügenden Lippen
im Gebet,bis die heiligen Sätze müde waren und zur Erde
fielen,wo augenblicklich Erdbeben stattfanden
und anderntags Hungersnöte durchs Land zogen,
dass sich der Frieden verkroch.Man betete weiter zu Gott,
denn man wusste zu wenig von ihm,um ihn verleugnen
zu können.Wortkarg waren die Alten geworden,
ihre frommen Augen trübten sich ein,und weil sie nichts
mehr besassen,vererbten sie Bosheit und Hass.
Wir haben uns nicht danach gedrängt,die Hüter der Erde
zu sein,wir wissen nicht einmal mehr,wie man das Knie beugt
und die Füsse wäscht,und selbst das Blut am Messer
lassen wir trocknen.Solange es geht,überwachen wir
das Ziehen der Wolken,sie ziehen unaufhörlich nach Westen,
das verheisst nichts Gutes.Denn heute haben sie unser Land
genommen,aber morgen kommen sie,eures zu erobern.