E.T.A. Hoffmann gilt als moderner Vertreter der deutschen Romantik. In seiner Novelle "Der goldne Topf" aus dem Jahr 1814 verliebt sich der tollpatschige Student Anselmus in das bezaubernde Schlänglein Serpentina. Er betritt eine fantastische Welt, verzichtet auf eine bürgerliche Karriere und verschwindet mit Serpentina im sagenhaften Reich Atlantis. Hoffmann nannte die Novelle ein "Märchen aus der neuen Zeit". Wie ein Vexierbild offenbart sie zugleich Wirkliches und Wunderbares und spielt mit diesen Sphären. Mit psychologischem Gespür, Humor und Ironie thematisiert Hoffmann dabei die Macht der Imagination - und die Macht der Poesie.
„Der gold’ne Topf“ von E.T.A. Hoffmann - Gespräch mit dem Schrifststeller Michael Köhlmeier
Magische Poesie in düsteren Zeiten
Man schreibt das Jahr 1813, und die fantastischen Reiche im Innern E.T.A. Hoffmanns stehen in krassem Gegensatz zu dem Düsteren, was um ihn herum stattfindet: die Befreiungskriege Preußens und seiner Alliierten gegen die Franzosen. Im Oktober schickt Napoleon seine Armee von Dresden aus in die Völkerschlacht bei Leipzig. Nach drei Tagen haben Napoleons Truppen den Kampf verloren – und mindestens 100.000 Soldaten ihr Leben.
Literatur und Musik E.T.A. Hoffmann zum 200. Todestag – Der Meister des Unheimlichen
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann – besser bekannt als E.T.A. Hoffmann – war ein Multitalent seiner Zeit: Jurist, Zeichner, Komponist und Dichter. Heute gilt er vor allem als Meister des Unheimlichen in der Literatur und als Begründer des modernen Fantasy-Genres. Vor 200 Jahren, am 25.6.1822, ist E.T.A. Hoffmann mit nur 46 Jahren gestorben.
Strafversetzung wegen Karikaturen
Genau dort ist auch der Zivilist E.T.A. Hoffmann unterwegs, 38 Jahre alt und frischgebackener Musikdirektor einer Operngesellschaft. Eigentlich ist er Jurist, Regierungsrat. Aber das Multitalent will lieber das Leben eines Künstlers führen. 11 Jahre zuvor war er als Justizbeamter in Posen wegen respektloser Karikaturen von preußischen Offizieren strafversetzt worden.
Sich selbst zeichnet er allerdings auch nicht anders. Bildnisse zeigen ihn als kleinen dürren Mann mit Wuschelhaaren, Backenbart, bohrenden Augen und langer Nase. Um seine schmalen Lippen liegt ein spöttischer Zug. Er ist oft krank – mit nur 46 Jahren wird er in Berlin schwerst gelähmt sterben, manche vermuten dahinter eine Syphiliserkrankung. Immer wieder zieht er um, leidet unter Geldnot und Hunger. Für seine Arbeit erfährt er Lob wie Ablehnung, letzteres auch wegen seines ausschweifenden Lebenswandels.
Märchen aus der Wirklichkeit
Doch ein klarer Kopf ist ihm wichtig, beim Arbeiten und Disputieren, beim Komponieren, Musizieren, Zeichnen, Schreiben. Besonders ist er an alter und zeitgenössischer Kunst, Literatur und Musik interessiert. Aus Bewunderung für Mozart ändert er seinen dritten Vornamen, den Kaisernamen Wilhelm, in Amadeus.
Anja Brockert im Gespräch mit der Schriftstellerin und Literaturvermittlerin Iris Wolf über E.T.A. Hoffmann:
1813, als Krieg, Hunger und Typhus grassieren, dirigiert E.T.A. Hoffmann in Dresden und Leipzig die „Zauberflöte“. Er komponiert seine eigene Zauber-Oper „Undine“, und es reift in ihm die literarische Idee vom „Goldnen Topf“, den er in 5 Monaten niederschreibt. Die ersten Sätze bringt Hoffmann im November 1813 aufs Papier.
Für ein Märchen ist das filmreife Szenario mit den realen Orts- und Zeitangaben ungewöhnlich. E.T.A. Hoffmann nennt sein Werk im Untertitel „Ein Märchen aus der neuen Zeit“. Er spickt es mit antiken Ideen vom Goldenen Zeitalter und naturphilosophischen Vorstellungen seiner Zeitgenossen Novalis und Schelling. Weil zudem viel Realismus darin steckt, wird es auch als „Wirklichkeitsmärchen“ bezeichnet.
Das bekannte dunkle Gefühl
Mit seinen Themen liegt E.T.A. Hoffmann voll im Trend: Traum und Rausch, Fantasie und Pathologie, die Nacht- und Schattenseiten der Psyche, Irrationales, das interessiert viele Künstler seiner Zeit. E.T.A. Hoffmann nimmt die Komplexität der sinnlichen Wahrnehmungen und inneren Vorstellungen ins Visier, Phänomene, die nicht eindeutig sind und täuschen können. Sie bewirken seelische Prozesse und bestimmen unsere Gefühlswelten, Angst, Freud und Leid.
Um das herauszustreichen, führt Hoffmann einen Erzähler ein, der das Märchen in zwölf Vigilien, also Nachtwachen, niederschreibt. In der 4. Vigilie wirbt er um Verständnis für die Melancholie des Anselmus. Er fragt, ob der „günstige Leser“ nicht selbst schon einmal so ein „quälendes Missbehagen“ kennengelernt habe, ein „dunkles Gefühl“.
Was genau den Menschen widerfährt und wie es um ihren Geistes- und Seelenzustand bestellt ist, bleibt eine Sache der Interpretation: Wie in einem Vexierbild oder Kaleidoskop ändern sich immer wieder Konstellationen und Zusammenhänge, bricht sich das, was wir als 'wirklich' verstehen. E.T.A. Hoffmann will das Reale des Alltags und das Mystische verknüpfen und sich durchdringen lassen.
Wahnsinn oder Ironie
Anselmus verliert am Schluss die Bodenhaftung völlig und landet im Extrem der bloßen Imagination. Und das liegt an einem Wesenszug, der den Höhenflug, den unmittelbaren Zugang zu den Zauberreichen aber auch erst möglich macht. Nun tritt Anselmus seine persönliche Himmelfahrt an: Er entschwindet mit seiner Geliebten nach Atlantis, der märchenhaften Utopie ewiger Seligkeit und All-einheit. Wie ist das zu verstehen?
Begeht er Selbstmord? Zieht er sich in ein asketisches Künstlertum zurück? Der Literaturwissenschaftler Stefan Matuschek sieht Anselmus im Wahnsinn untergehen. Sein kindliches poetisches Gemüt hat ihn zwar Tiefes und Schönes schauen, aber auch in den totalen Realitätsverlust gleiten lassen.
Hoffmann selbst bezeichnet den Goldenen Topf als eine seiner gelungensten Erzählungen, und zwar eine, so schreibt er in einem Brief: mit durchgehaltener Ironie. Die zeigt er nochmals virtuos am Schluss, als er in der 12. Vigilie verschiedene Welten zusammenführt.
Realität und Traum gehören zusammen
Hier zeigt sich der Autor E.T.A. Hoffmann in seiner parodistischen Eigenart als Akrobat auf der Himmelsleiter. Er lässt seinen Erzähler auf seine fiktiven Figuren treffen und beschreibt auch noch den literarischen Prozess „in verstockten Zeiten“: als einen Ausflug von seinem Dachstübchen aus in die Welt der Fantasie.
Ein Dichter „switcht“ zwischen Realität und Traumwelt und treibt dabei augenzwinkernd kecke Vexierspiele. Ausschließlich im bürgerlichen Leben zu verhaften oder in einem imaginären Atlantis total unterzutauchen ist seine Sache nicht – Besuche dort dagegen schon. Dass ein Entweder-Oder, ein Dasein bloß oben oder unten auf der Leiter, selig machen kann: Das ist, zumindest für E.T.A. Hoffmann, ein Märchen!
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