Die YouTuberin Anna Lee ist verschwunden. Sie ist eine Urban Explorerin, das heißt, sie verschafft sich illegalen Zugang zu verlassenen Gebäuden und filmt sich dabei. In ihrem letzten Video erkundet sie ein verlassenes Château in Frankreich – seither fehlt jede Spur von ihr.
Stattdessen ist ein seit Jahrzehnten als verschollen geltendes religiöses Artefakt aufgetaucht: eine silberne Schatulle, deren unbekannter Inhalt angeblich beweisen kann, dass Pontius Pilatus zum Christentum konvertierte und dass Jesus damals wirklich auferstanden ist.
Wissenschaftler, verschiedene Religionsgemeinschaften und private Kunstsammler sind hinter ihr her. Diese Schatulle war in Anna Lees letztem Video zu sehen. Hat sie tatsächlich gegen den Ehrenkodex des Urban Exploring verstoßen und etwas aus dem Château mitgenommen? Versteckt sie sich aus Scham? Oder ist sie tot?
Krimi-Neuheit: Podcaster werden Ermittler
Das ist der neue Fall der True-Crime-Podcaster Anna McDonald und Fin Cohen, die zuletzt in Denise Minas Kriminalroman „Klare Sache“ ermittelt haben und sich nun in „Fester Glaube“ abermals auf eine Reise quer durch Europa begeben.
Das ist in weiten Teilen gut umgesetzt und weiterhin sind Podcaster als Hauptfiguren eine erstaunliche Ausnahme in der Kriminalliteratur. Aber so ganz kommt dieser zweite Teil nicht an den Vorgänger heran.
Seit ihrem Durchbruch am Ende von „Klare Sache“ sind Anna McDonald und Fin Cohen bekannter und erfolgreicher – allerdings nicht wesentlich organisierter in ihrem Vorgehen. Das benennt Anna auch sehr klar: Sie erzählt die Suche nach Anna Lee im Rückblick und will mit kleinen Vorausdeutungen wie „hätten wir das doch mal gewusst“ für Spannung sorgen.
So werden True-Crime-Podcasts oft erzählt. Das ist ihr ewiges Erfolgsrezept: Sie wollen sich mit den Zuhörer*innen verbünden und ein Miterleben der Ermittlungen ermöglichen. Das Miterleben ist auch in diesem Kriminalroman gut umgesetzt.
Für das Verbünden indes fehlt trotz subjektivem und persönlichem Tonfall ein wesentlicher Faktor: Einen Podcast hört man, man verbündet sich mit einer menschlichen Stimme. Das kann dieses Buch nicht gänzlich reproduzieren.
Ein „Buch zum Podcast“ – kann das funktionieren?
Dieses Spiel mit dem Medium Podcast setzt sich auf formaler Ebene fort: Angelegt ist Annas Erzählung als „Buch zum Podcast“. Sie verweist auf Folgen und erwähnt, dass manche Unterhaltungen aufgrund der schlechten Aufnahmequalität nicht im Podcast verwendet wurden. Fürs Buch aber hat sie sie abgetippt. Das Buch weiß also mehr als der fiktive Podcast.
Hintergründe sind nicht einfach in den Text eingebunden, sondern werden kursiv abgesetzt und von Anna jeweils mit dem Hinweis versehen, dass der Text aus einer Podcastfolge stammt. Allerdings sind diese Passagen gerade dafür, dass sie eigentlich gesprochen werden sollen, recht steif schriftsprachlich gehalten.
Immerhin enthüllen diese teilweise zu ausführlichen Hintergrundinformationen die faszinierende Geschichte der Schatulle, in der das kommunistische Ungarn, Morde in Beirut und Bari, ein Einbruch in ein Kunstmuseum in Boston, ein mörderischer Priester und ein dubioser südafrikanischer Antiquitäten- und Drogenhändler namens Bram van Wyk eine Rolle spielen.
Bram drängt sich Anna und Fin bei der Suche auf und verschafft ihnen Zugang zu der Auktion in Paris, auf der Schatzsucher, Antiquitätenhändler, religiöse Milliardäre und Fundamentalchristen einander überbieten werden.
Irre Abenteuergeschichte mit Schatullenjagd
Das Ergebnis ist eine irre Abenteuergeschichte, die mit ihren vielen Verweisen und Anspielungen an den Vorgängerroman „Klare Sache“ erinnert – aber „Fester Glaube“ fehlt etwas von dessen Verspieltheit und Leichtigkeit. In „Klare Sache“ wechselte mit dem Schauplatz auch oftmals der Tonfall. Hier aber klingt alles gleich. Manche Verwicklungen sind zu bemüht, vieles wird nur angerissen und ist zu leicht zu durchschauen.
Letztlich überzeugt vor allem Denise Minas scharfsinniger Blick auf den Kunst- und Antiquitätenmarkt mit all seinen Absurditäten und Ungerechtigkeiten. Die Schatulle, die für 330 Millionen Euro versteigert wird, dient lediglich dazu, die Macht des künftigen Besitzers zu demonstrieren und zu begründen.
Niemals geht es um das Kunstwerk an sich. Geschichte wird „verscherbelt“, „Zeit und Glaube zur Ware gemacht“, während die Menschen, denen diese Gegenstände etwas bedeuten, von ihnen ferngehalten werden. Das ist der bittere Kern dieses etwas überkonstruierten, aber unterhaltsamen Kriminalromans.