Thomas Kunst, 1965 in Stralsund geboren, war bereits vor der Wende ein Dichter mit mythischem Ruf. So jedenfalls kann man es in Lutz Seilers 2020 erschienenem Roman „Stern 111“ nachlesen, in dem der Ich-Erzähler, der selbst Schriftsteller werden möchte, eines Abends in Prenzlauer Berg plötzlich dem „großen Kunst“ gegenübersteht, „einer der Granden ihrer Zeit“, wie es heißt.
Thomas Kunst ist in erster Linie Lyriker, stand aber mit seinem Roman „Zandschower Klinken“ im Jahr 2021 auch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Doch nun gibt es neue Gedichte, aufgeteilt in sechs Kapitel, jedes davon an ein Mitglied der Familie des Dichters adressiert. WÜ heißt eine Katze, die noch viel mehr ist als ein Tier, mit dem sich das lyrische Ich unterhält:
Meine liebe WÜ. Fünfzehnter Januar, / Hast du den Rest vom Eukalyptusbonbon gefunden, den/Ich dir in deinem vierzig Zentimeter tiefen Iglu unters / Kissen gelegt habe, wenn ja, dann dürfte dir niemand / Im Dorf, was deine Wachsamkeit betrifft, gewachsen/Sein.
Kunsts neue Gedichte blicken in einem ihnen eigenen, unverwechselbaren Sound aus der Perspektive eines Gealterten zurück; betrachten die Veränderungen, die körperlichen Gebrechen, den Lauf der Zeit:
Ab fünfzig denkt man öfter an den Tod. / Die Rhythmusstörung ist kein gutes Omen. / Der Kreislauf zuckt, wir googeln nach Symptomen / Und haben noch paar Wochen ohne Not./ Und weiter: Das Taille-Hüft-Verhältnis zu ermitteln, / gleicht einer selten schönen Todesart. / Der Körperfettanteil ist nicht ideal.“
So leicht und mühelos und vor allem mit feinem Humor unterlegt schreitet sonst niemand durch die unterschiedlichen Formen, durch Sonette, Lang- und Kurzgedichte.