Diskutiert auf Platz 3 der SWR Bestenliste Juni 2024
Der Texaner George Saunders, der ein enger Freund von David Foster Wallace war, galt über Jahre hinweg als ein Spezialist der Short Story – bis er im Jahr 2017 seinen Debütroman „Lincoln im Bardo“ veröffentlichte und dafür prompt mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde.
Vor zwei Jahren veröffentlichte Saunders den Band „Bei Regen in einem Teich schwimmen“, in dem er, der seit 1997 Kreatives Schreiben an der Universität von Syracuse lehrt, sich sieben Erzählungen russischer Meisterautoren vornahm und sie geschmeidig und witzig nach ihrem Gehalt abklopfte.
Virtuose Formenvielfalt Die neuen Kurzgeschichten von George Saunders
Was zeichnet die Kurzprosa von George Saunders aus? SWR Literaturkritiker Carsten Otte meint: Die wahnwitzige Formenvielfalt dystopischer Geschichten, die private und gesellschaftliche Krisen erzählen.
Nun ist Saunders zum Genre der Erzählungen zurückgekehrt. Er ist, was angesichts der Weltlage nicht verwundert, noch einmal düsterer und pessimistischer geworden. Die Titelgeschichte, mit rund 80 Seiten Umfang auch die längste des Buchs, ist ein wildes, dystopisches Stück, in dem den Menschen, die zur Unterschicht gehören, ihr Wille und ihr Gedächtnis genommen wurden. Stattdessen ermöglicht es eine neuartige Technologie, ihr Gehirn mit Daten und Informationen zu füttern. Willenlosigkeit, Fremdbestimmtheit, sprachliche Beschränkung – fast immer geht es in Saunders Erzählungen um Machtgefälle und Machtausübung; um Unglück und dystopische Szenarien.
Saunders verlässt nur allzu gern den Boden des realistischen Erzählens. Sein Blick geht in die Zukunft, und dort wird es nicht schöner. Und trotzdem: Die Hoffnung, die in diesen Texten auch durchscheint, liegt in der Widerstandskraft, im Behauptungswillen. Saunders Welt ist dunkel, aber noch nicht verloren.