Diskutiert auf Platz 2 der SWR Bestenliste Mai 2023
Im Vergleich zu ihrem vorangegangenen, rund 1200 Seiten umfassenden Roman „Die Jakobsbücher“ fasst Olga Tokarczuk sich in ihrem neuen Roman verhältnismäßig kurz. „Die Jakobsbücher“, erschienen 2014, dürften zum einen maßgeblich zur Zuerkennung des Literatur-Nobelpreises an die polnische Schriftstellerin beigetragen haben, brachten ihr in ihrem Heimatland allerdings großen politischen Ärger und darüber hinaus Morddrohungen ein. Auch „Empusion“ ist ein historischer Roman, allerdings angesiedelt im frühen 20. Jahrhundert.
Im September 1913 trifft Mieczysław Wojnicz, ein Student aus Lemberg, im niederschlesischen Görbersdorf ein. Dort steht ein Sanatorium für Lungenkrankheiten, und Wojnicz hofft, dort Linderung für seine Beschwerden zu finden. Die Brehmer’sche Anstalt war seinerzeit berühmt; angeblich wurde das Davoser Lungensanatorium ihr nachgebaut.
Und so wandelt auch Olga Tokarczuk zumindest anfangs auf den Spuren des „Zauberbergs“: Wojnicz erhält die Diagnose Schwindsucht; er steigt in einem Gästehaus ab, das nur von Männern bewohnt wird. Man redet, philosophiert, diskutiert und trinkt – im Dienste der Gesundheit, versteht sich. Und fast alle Gespräche enden mit misogynen Tiraden. Auch der sich anbahnende Krieg ist ein Thema, doch nach und nach schleicht sich eine andere, ganz neue Form von Unheimlichkeit ein – eine Serie von Toten in Görbersdorf und in den Bergen rundherum.
Wer Tokarczuks Bücher kennt, der weiß, dass sie alles andere als eine realistische Schriftstellerin ist: „Eine (un)heilkundliche Schauergeschichte“ ist der Untertitel des Romans. Die dunklen Mächte schalten sich auch hier ein. „Empusa“, das ist ein weibliches Gespenst aus der griechischen Mythologie. In Görbersdorf spielt sich ein Horrorfilm ab.