Die Aufklärung war der Ausweg des Menschen aus der Finsternis des Mittelalters. Ein Lichtschein der Vernunft, eine Befreiungsbewegung, die ihre Wurzeln im Bürgertum hatte. Mit dem Aufblühen der Philosophie ging zugleich ein epochaler Erkenntnisgewinn der Naturwissenschaften einher. Man war dabei, die Welt zu verstehen, zu erklären, zu enträtseln zu durchleuchten. „Man“? Oder bloß „Mann“? Angela Steidele, geboren 1968, ist mit Romanen wie „Rosenstengel“ oder „Anne Lister“ als eine Autorin bekannt geworden, die sich intellektuell beweglich und produktiv im Grenzbereich von Wissenschaft, Historie und Fakten bewegen kann.
Die Protagonistin von „Aufklärung“, eines Buchs, das die Gattungsbezeichnung „Roman“ trägt, ist Dorothea Bach, die Tochter des berühmten Komponisten. Der Blick auf die Epoche und ihre Protagonisten ist dezidiert weiblich; der Tonfall, den Steidele anschlägt, ist nicht historisierend, sondern gegenwärtig. Das zeigt: Es geht der Autorin nicht um eine naturalistische Darstellung der Verhältnisse, sondern um einen Brückenschlag ins 18. Jahrhundert und um ein Gespräch mit der Epoche. Dorothea Bach, geboren 1708, kommt im Jahr 1723 mit ihrem Vater und dessen zweiter Frau nach Leipzig. Aus ihrer Perspektive werden zum einen das Aufblühen der stolzen Stadt und die Begegnungen mit historischen Persönlichkeiten geschildert.
Ob sich all das tatsächlich so zugetragen hat, ist weder gesichert noch wichtig. Zum anderen aber hat Dorothea eben auch einen Blick für all das, was noch nicht erzählt wurde – die Schicksale von Frauen, deren Bedürfnisse und Talente hinter der Bedeutung der Männer verschwinden mussten. Insofern ist Steideles Buch auch die zum Roman gewordene Vision, dass Männer und Frauen gemeinsam das Licht in die Welt bringen könnten.