Wie nah sind sich Rechts- und Linksextremismus, zum Beispiel in ihrem Gewaltpotential und ihrem Totalitätsanspruch? Die Publizistin Hannah Arendt untersuchte das vor 70 Jahren. Arendts Theorie des Totalitarismus entstand aus ihrer Kenntnis der europäischen Geistesgeschichte und in der Begegnung mit der politischen Kultur der USA, befruchtet aber auch von stetigem Dialog mit ihrem Ehemann Heinrich Blücher. Was sich zwischen Hannah Arendt und Heinrich Blücher abspielte, das untersucht das neue Buch der Kulturwissenschaftlerin Barbara von Bechtolsheim. Eine anregende Ergänzung der schon verfügbaren Literatur, findet Michael Kuhlmann.
Insel Verlag, 280 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-458-64297-8
Barbara von Bechtolsheim ist eine Kultur- und Geisteswissenschaftlerin, die Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen hat. Daneben schreibt sie Bücher, etwa einen hochgelobten Sammelband über berühmte Paare. Paarforschung ist ihr Steckenpferd, auch ihr neues Buch handelt davon: "Hannah Arendt und Heinrich Blücher. Biografie eines Paares" - Michael Kuhlmann.
Eine der wichtigsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts und ihr Ehemann, Philosoph und bewunderter Universitätslehrer – wie haben diese beiden einander beeinflusst, inspiriert? Damit befasst sich Barbara von Bechtolsheim in ihrem neuen Buch.
Die beiden, um die es sich dreht, kamen aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen: Hannah Arendt entstammte der deutsch-jüdischen Geisteselite Königsbergs. Sie studierte in den zwanziger Jahren Philosophie in Marburg, Heidelberg und Freiburg, unter anderem bei Martin Heidegger, Karl Jaspers und Edmund Husserl. Vor der deutschen Diktatur floh sie 1933 nach Paris.
Dort lernte sie Heinrich Blücher kennen, ihren späteren Ehemann: ebenfalls Emigrant, 1899 geboren und als Halbwaise aufgewachsen im proletarischen Milieu Berlins. Blücher gehörte zu den ersten Mitgliedern der KPD. Allerdings scheint er nicht recht in diese engstirnige Partei gepasst zu haben, denn von Bechtolsheim attestiert ihm eine – so wörtlich – fragende, zweifelnde Grundhaltung, die vom Gesprächspartner eigenständiges Denken fordert. Darin wiederum traf er sich mit Hannah Arendt. Arendt und Blücher flohen auf abenteuerlichen Wegen schließlich in die USA.
Hier nun starteten sie geradezu durch: Sie wurden zum Mittelpunkt eines Clubs von Künstlern und Intellektuellen, der mit seiner Debattenkultur an die literarischen Salons im alten Europa erinnerte. Heinrich Blücher machte sich einen Namen als inspirierender Dozent an der New Yorker New School: einer Erwachsenenbildungsstätte, an der sich etliche Elitewissenschaftler versammelten, die aus dem deutsch besetzten Europa hatten fliehen müssen.
Hannah Arendt wiederum entfaltete publizistische Aktivität: 1951 erschien „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ – ein Klassiker der politischen Literatur. 1963 dann „Eichmann in Jerusalem“: Arendts Betrachtung des Prozesses gegen den einstigen Referatsleiter des Reichssicherheitshauptamtes. Arendt und Blücher versuchten, das Grauen zu verstehen, das von Deutschland ausgegangen war. Und: Sie fragten, wie man auf dieses Grauen in seinen weltgeschichtlich neuartigen Dimensionen reagieren könnte.
Blücher wollte, dass seine Studenten selbständig denken lernten, damit sie sich zu historischen Situationen angemessen verhalten konnten. Das war praktischer angelegt als die Frage nach abstrakten moralischen Prinzipien. Blücher und Arendt bekundeten, dass es nichts bringe, die Wirklichkeit in Schwarz und Weiß einzuteilen, sondern dass die Welt in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit nur durch ein Denken in „Sowohl-als-auch“ zu erfassen sei.
Wolle man den anderen verstehen, dann müsse man lernen, auch mit Dissens zurechtzukommen, zu verstehen, warum der andere eben anders denkt – und neugierig zu bleiben auf bislang unbeschrittene Denk-Pfade. Im nächsten Schritt müsse man heraus aus dem Elfenbeinturm und sich verantwortlich beteiligen am demokratischen Geschehen.
Diese Konzepte sind aus Sicht der Autorin entstanden im stetigen Dialog zwischen Arendt und Blücher. Das leitet sie her aus geistigen Parallelen und Reibungspunkten in beider Werk, aus Briefen und aus Zeugnissen von Freunden und Bekannten über den Umgang der beiden miteinander.
Barbara von Bechtolsheim lässt allerdings durchblicken, dass es ihr vor allem darum geht, den bislang unbeleuchteten Einfluss Blüchers auf Arendt herauszustellen. Das Buch kann und will gleichwohl systematische Darstellungen über Hannah Arendts Werk nicht ersetzen.
Wie ihr und Blüchers Denken einfloss in ihre Bücher, das muss man mitunter selbst herleiten. Etwa im Falle ihres zweiten Hauptwerkes „Vita activa“, das hier nur am Rande vorkommt, in dem sie aber umreißt, dass sich in einer funktionierenden Demokratie nicht irgendwann ein festes Weltbild etabliert, sondern dass sich dieses Weltbild während der immer neuen Debatten in dieser Demokratie stetig umformt. Die Dialog-Prozesse, in denen sich solche Erkenntnisse herausbildeten – sie hat Barbara von Bechtolsheim nachgezeichnet. Und damit eröffnet sie anregende Perspektiven.