Wer geruhsame Stunden oder Erheiterung sucht, dem sei von Ángel Santiestebans 13 Storys aus Kuba abgeraten, denn sein Band mit dem Titel „Stadt aus Sand“ist harter Tobak. Vor allem, was der kubanische Schriftsteller von Verhaftungen und Gefängnissen in seinem Land erzählt, geht an die Nieren. Die Geschichte „Trautes Heim“ etwa wiegt die Neuen unter den Gefangenen zunächst ebenso in Sicherheit wie die Leserschaft: Da wird Häftlingen Seife und warmes Wasser zum Duschen zugestanden, und es gibt sogar Medikamente gegen Krätze oder Epilepsie. Das Gefängnis wird auf Hochglanz poliert. Und die Schwerkranken und Körperbehinderten bringt man in eine Klinik. Heißt es. Während dann die internationale Presse durch die Haftanstalt spaziert, gibt es sogar gutes Essen im Überfluss. Doch wer schon länger einsitzt, wird misstrauisch. Zu Recht, denn der vermeintliche Transport der besonders Schwachen in eine Klinik stellt sich als unvorstellbarer Horrortrip heraus.
Autor Ángel Santiesteban hat selbst im Gefängnis gesessen. Er weiß also, wovon er schreibt. Es ist ja bekannt, wie gnadenlos das sozialistische Regime mit all denen umgeht, die es als Verbrecher einstuft, deshalb kann man davon ausgehen, dass er nicht übertreibt. Das Gleiche gilt für die Geschichten, in denen Santiesteban sich mit willkürlichen Verhaftungen von Demonstranten, mit Folter auf Polizeistationen oder mit Sippenhaft auseinandersetzt. Der heute 56-jährige Schriftsteller war bis 2001 vom Regime wohlgelitten. Als er jedoch aufhörte, sich der Selbstzensur zu unterwerfen, folgte 2007 zunächst ein bis heute geltendes Publikationsverbot, 2012 dann eine fast dreijährige Gefängnisstrafe. Die vorliegende deutsche Übersetzung von „Stadt aus Sand“ ist die erste Veröffentlichung des Erzählbandes überhaupt.
Santiestebans Sprache ist meist genauso rau und schnörkellos wie die Inhalte, die sie transportiert. Die Form der Geschichten variiert jedoch. Mal nutzt der Autor das „wir“, um aus Sicht einer kleinen Gruppe zu schreiben, aus deren Mitte ein Freund plötzlich verschwindet. Dann schreibt er in der Ich-Form, oder es berichtet ein Erzähler. Gelegentlich unternimmt Santiesteban Ausflüge ins Fantastische, so mit dem Märchen „Der Blick in den Dunst“. Erzählt wird von einem Mann, der mitten in der Wüste mit bloßen Händen eine Hafenanlage baut. Ihn treibt die absurde Hoffnung, dass es dort irgendwann einmal Wasser geben wird. So wie der eine oder andere Kubaner immer noch für den Sozialismus eintritt, in der Hoffnung, das Regime werde irgendwann doch noch für Gerechtigkeit und Wohlstand sorgen, könnte man interpretieren.
Die bitterböse Satire „Der bedeutendste Popel der Geschichte“ ist Santiestebans Abrechnung mit dem Opportunismus im Staatsapparat. Es geht darin um einen Bürokraten, der keiner sinnvollen Arbeit nachgeht und durch Katzbuckeln versucht, Karriere zu machen. Wobei er sich überall mit seiner Nähe zum Staatschef brüstet. Der Zufall will es, dass ein Fotograf des Regimes unseren Bürokraten dabei ablichtet, wie er, schräg hinter dem Staatschef stehend, in der Nase bohrt. Seine Bemühungen, diese Fotografie zu vernichten, bleiben erfolglos. Vielmehr vernichten sie ihn.
Wer sich mit Kuba befasst, ist von dem, was Ángel Santisteban über Alltag und Repression auf der Karibik-Insel berichtet, nicht überrascht. Wenn in einem Land, wie auf Kuba der Fall, die Zeit stehen bleibt, hat auch die Literatur es schwer, neue Inhalte zu finden. Santiesteban versteht aber Altbekanntes in neuen Formen zu erzählen, und seine 13 Stories sind durchweg gut strukturiert. Autoren wie Ángel Santiesteban, die sich nicht der Zensur unterwerfen und dafür große Entbehrungen in Kauf nehmen, haben es außerdem ganz besonders verdient, gelesen zu werden.
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot
Büchergilde Gutenberg, 256 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-7632-7367-6