Buchkritik

Andreas Nöthen – Brasilien

Stand
Autor/in
Peter B. Schumann

Brasilien ist das größte Land auf der Südhalbkugel, das fünfgrößte der Welt. Es ist gesellschaftlich und wirtschaftlich hoch entwickelt, aber es gibt auch weite Gebiete extremer Armut und Elend. Aufschlussreiche Einblicke in die Widersprüche dieses großen Landes gibt jetzt das Buch des Brasilien-Experten Andreas Nöthen.

Zwei literarische Anläufe hat Andreas Nöthen bisher unternommen, bevor er jetzt seinen großen Überblick über Brasilien vorgelegt hat. Im ersten Band analysierte er, wie der „Bulldozer Bolsonaro“ das Land ruinierte, um sich dann in seiner Biografie Lula der einstigen politischen Lichtgestalt Luiz Ignácio Lula da Silva zu widmen. Darin verdeutlicht er, dass selbst der gegenwärtige Staatspräsident von der tief in die Politik hineinwuchernden Korruption nicht unberührt blieb.

Nun also Brasilien. Geschichte-Kultur-Politik. Das klingt nach einer der üblichen Länderdarstellungen. Andreas Nöthen geht jedoch ganz anders vor. Er will vielmehr anhand einzelner Aspekte ... 

„Klischees und Stereotype durchbrechen“ und diverse „Schlagworte in den historischen und gesellschaftlichen Kontext stellen“. 

Damit die Leserinnen und Leser ... 

Brasilien, insbesondere seine Politik und Gesellschaft anhand ausgewählter Beispiele, besser verstehen können. 

Besondere thematische Aspekte 

In dem Kapitel „Frauen in der Politik“ beschreibt er u.a., wie schwer es die männlichen Strippenzieher Dilma Rousseff machten, 2011 erste Präsidentin Brasiliens zu werden. Und dass rassistische und sexuelle Motive zum Mord an der berühmten Schwarzen Menschenrechtsaktivistin Marielle Franco beitrugen. Denn ... 

organisierte Kriminalität, Ordnungsmacht und Politik sind in Brasilien eng verwoben.

Den politischen Machtfaktor der Evangelikalen, heute die Mehrheit der Gläubigen in Brasilien, betont Andreas Nöthen und zeigt, dass selbst ein eigentlich linker Präsident sie in sein politisches Kalkül einbeziehen muss.  

Insgesamt 13 verschiedene Aspekte behandelt er ausführlich, so z.B. den Rassismus und den Mythos von der Rassendemokratie; die rechtsfreien Räume, in denen Milizen und Drogenbanden ihr Unwesen treiben sowie das damit zusammenhänge Problem der Rechtsstaatlichkeit. Dabei will er jedoch nicht nur die aktuelle Problemlage, sondern auch ihre historischen Wurzeln analysieren. 

Von besonderer Aktualität ist das Thema „Amazonien – der Naturraum von globaler Bedeutung“, denn es brennt zurzeit in Brasilien wie seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr: in diversen Gebieten und vor allem am Amazonas.  

Die Problematik des Amazonas 

Der Autor analysiert die vielfältigen Ursachen wie z.B. ... 

die internationale Gier nach Rohstoffen in einem der größten und wichtigsten Ökosysteme des Planeten. 

Doch ebenso den nationalen Raubbau. Er verweist auf die Anstrengungen, die vor allem Lula da Silva immer wieder unternommen hat, und auf die kaum zu überwindende Grenze: 

Denn in der brasilianischen Binnenwahrnehmung ist das Areal nach wie vor in erster Linie ein unerschöpfliches Rohstofflager und ein wirtschaftlicher Entwicklungsraum. Das Thema Umweltschutz hat in der brasilianischen Politik derzeit keine Lobby. 

Deutsche Einwanderung nach Brasilien 

Ein besonderes Kapitel stellen die Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland dar. Sie begannen vor zweihundert Jahren und erreichten in der Zeit zwischen 1930 und 1950 ihren tragischen Höhepunkt. Damals verweigerte die Regierung Vargas mit rassistischen Gesetzen flüchtenden Juden die Visa. Nur dank des Muts einiger weniger brasilianischer Diplomaten gelang es vielen, in Brasilien unterzukommen. Später mussten sie oft Tür an Tür mit geflohenen Naziverbrechern leben, die problemlos ins Land gelassen wurden.

Andreas Nöthen ist mit seiner dritten Annäherung an Brasilien ein außergewöhnliches Werk gelungen, in dem er eine Vielzahl von Aspekten zu einer hervorragenden Gesamtschau zusammenfügt und viele neue Einblicke in die Komplexität der Probleme und die Möglichkeiten dieses großen Landes bietet. 

Mehr Literatur von Andreas Nöthen

Buchkritik Andreas Nöthen - Bulldozer Bolsonaro. Wie ein Populist Brasilien ruiniert

Seit Jair Bolsonaro Präsident in Brasilien ist, hat er mit seiner Politik, einer kruden Mischung aus Neoliberalismus, antikommunistischem Kreuzzug und Vetternwirtschaft, die Entwicklung im größten Land Lateinamerikas um Jahrzehnte zurückgeworfen. Rezension von Peter B. Schumann. Christoph Links Verlag ISBN: 978-3-96289-096-4 240 Seiten 18,50 Euro

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Wie haben 4 Jahre unter Präsident Bolsonaro Brasilien verändert? Was sind die Besonderheiten des brasilianischen Rechtspopulismus? Was droht dem Land für den Fall seiner Wiederwahl? Ein erstes Resumé der Regierungszeit des 'tropical Trump' und des Widerstands gegen die autoritäre Wende im größten Land Lateinamerikas.
Rezension von Anselm Weidner.
Assoziation A, 207 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3862414925

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