Brasilien ist das größte Land auf der Südhalbkugel, das fünfgrößte der Welt. Es ist gesellschaftlich und wirtschaftlich hoch entwickelt, aber es gibt auch weite Gebiete extremer Armut und Elend. Aufschlussreiche Einblicke in die Widersprüche dieses großen Landes gibt jetzt das Buch des Brasilien-Experten Andreas Nöthen.
Zwei literarische Anläufe hat Andreas Nöthen bisher unternommen, bevor er jetzt seinen großen Überblick über Brasilien vorgelegt hat. Im ersten Band analysierte er, wie der „Bulldozer Bolsonaro“ das Land ruinierte, um sich dann in seiner Biografie Lula der einstigen politischen Lichtgestalt Luiz Ignácio Lula da Silva zu widmen. Darin verdeutlicht er, dass selbst der gegenwärtige Staatspräsident von der tief in die Politik hineinwuchernden Korruption nicht unberührt blieb.
Nun also Brasilien. Geschichte-Kultur-Politik. Das klingt nach einer der üblichen Länderdarstellungen. Andreas Nöthen geht jedoch ganz anders vor. Er will vielmehr anhand einzelner Aspekte ...
Damit die Leserinnen und Leser ...
Besondere thematische Aspekte
In dem Kapitel „Frauen in der Politik“ beschreibt er u.a., wie schwer es die männlichen Strippenzieher Dilma Rousseff machten, 2011 erste Präsidentin Brasiliens zu werden. Und dass rassistische und sexuelle Motive zum Mord an der berühmten Schwarzen Menschenrechtsaktivistin Marielle Franco beitrugen. Denn ...
Den politischen Machtfaktor der Evangelikalen, heute die Mehrheit der Gläubigen in Brasilien, betont Andreas Nöthen und zeigt, dass selbst ein eigentlich linker Präsident sie in sein politisches Kalkül einbeziehen muss.
Insgesamt 13 verschiedene Aspekte behandelt er ausführlich, so z.B. den Rassismus und den Mythos von der Rassendemokratie; die rechtsfreien Räume, in denen Milizen und Drogenbanden ihr Unwesen treiben sowie das damit zusammenhänge Problem der Rechtsstaatlichkeit. Dabei will er jedoch nicht nur die aktuelle Problemlage, sondern auch ihre historischen Wurzeln analysieren.
Von besonderer Aktualität ist das Thema „Amazonien – der Naturraum von globaler Bedeutung“, denn es brennt zurzeit in Brasilien wie seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr: in diversen Gebieten und vor allem am Amazonas.
Die Problematik des Amazonas
Der Autor analysiert die vielfältigen Ursachen wie z.B. ...
Doch ebenso den nationalen Raubbau. Er verweist auf die Anstrengungen, die vor allem Lula da Silva immer wieder unternommen hat, und auf die kaum zu überwindende Grenze:
Deutsche Einwanderung nach Brasilien
Ein besonderes Kapitel stellen die Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland dar. Sie begannen vor zweihundert Jahren und erreichten in der Zeit zwischen 1930 und 1950 ihren tragischen Höhepunkt. Damals verweigerte die Regierung Vargas mit rassistischen Gesetzen flüchtenden Juden die Visa. Nur dank des Muts einiger weniger brasilianischer Diplomaten gelang es vielen, in Brasilien unterzukommen. Später mussten sie oft Tür an Tür mit geflohenen Naziverbrechern leben, die problemlos ins Land gelassen wurden.
Andreas Nöthen ist mit seiner dritten Annäherung an Brasilien ein außergewöhnliches Werk gelungen, in dem er eine Vielzahl von Aspekten zu einer hervorragenden Gesamtschau zusammenfügt und viele neue Einblicke in die Komplexität der Probleme und die Möglichkeiten dieses großen Landes bietet.
Mehr Literatur von Andreas Nöthen
Buchkritik Andreas Nöthen - Luiz Inácio LULA da Silva
Das parlamentarische System Brasiliens ist eines der korruptesten Lateinamerikas. Selbst eine Partei wie die PT, die Arbeiterpartei, hat es schwer, sich zu behaupten. Sie ist als die moralische Alternative zum Parteienfilz angetreten, musste aber sehr bald ihre ethischen Standards aufgeben, um an die Macht zu gelangen und ihr Sozialprogramm durchzusetzen.
Rezension von Peter B. Schumann
Mandelbaum Verlag, 256 Seiten, 20 Euro
ISBN 978385476-947-7
Buchkritik Andreas Nöthen - Bulldozer Bolsonaro. Wie ein Populist Brasilien ruiniert
Seit Jair Bolsonaro Präsident in Brasilien ist, hat er mit seiner Politik, einer kruden Mischung aus Neoliberalismus, antikommunistischem Kreuzzug und Vetternwirtschaft, die Entwicklung im größten Land Lateinamerikas um Jahrzehnte zurückgeworfen. Rezension von Peter B. Schumann. Christoph Links Verlag ISBN: 978-3-96289-096-4 240 Seiten 18,50 Euro
Mehr Literatur aus und über Brasilien
Buchkritik Geovani Martins – Via Ápia
2014 und 2016: Olympische Spiele und Fußball-WM in Brasilien. Wie junge Menschen aus einer Favela diese gar nicht friedliche Zeit erlebt haben, davon handelt der Roman Via Ápia.
Buchkritik Niklas Franzen - Brasilien über alles. Bolsonaro und die rechte Revolte
Wie haben 4 Jahre unter Präsident Bolsonaro Brasilien verändert? Was sind die Besonderheiten des brasilianischen Rechtspopulismus? Was droht dem Land für den Fall seiner Wiederwahl? Ein erstes Resumé der Regierungszeit des 'tropical Trump' und des Widerstands gegen die autoritäre Wende im größten Land Lateinamerikas.
Rezension von Anselm Weidner.
Assoziation A, 207 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3862414925
Buchkritik Marcello Quintanilha – Hör nur, schöne Márcia
In einer Favela von Rio de Janeiro kämpft die Krankenschwester Márcia um das Leben ihrer in die Kriminalität abrutschenden Tochter - und träumt von ein bisschen Glück für sich selbst. In seiner Graphic Novel „Hör nur, schöne Márcia“ erzählt der brasilianische Zeichner einen Sozialkrimi in bonbonbunten Bildern.
Rezension von Silke Merten.
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Lea Hübner
Reprodukt Verlag, 128 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-95640-363-7