Gratulation

Alexander Kluge wird 90 - Glückwunsch!

Stand
Autor/in
Alexander Wasner

Alexander Kluge wird am 14. Februar 90 Jahre. Der Autor, Filmemacher, Essayist ist einer der originellsten Künstler und Intellektuellen. Er hat Deutschland vom Wirtschaftswunder bis heute immer wieder überrascht.

Alexander Kluge - Schriftsteller oder Regisseur?

Alexander Kluge war für mich seit der Kindheit ein großer Name, ohne dass ich genauer hätte beschreiben können, warum. Ist er Schriftsteller oder Regisseur?

Rückblickend kann man sagen: Er ist ein Mensch in Bewegung. Sein neues Buch heißt im Untertitel: „Der unruhige Garten der Seele“. Das passt.

Wie übrigens fast alle Buchtitel von ihm: „Chronik der Gefühle“ oder „Die Lücke, die der Teufel lässt“ oder „Tür an Tür mit einem anderen Leben“ – die Titel wurden vielleicht deshalb oft sprichwörtlich. „Seen sind für Fische Inseln“ – so heißt eine DVD-Sammlung mit 137 seiner Filme und mein liebster Kürzestaphorismus von Kluge.

Alexander Kluge kaperte im Privatfernsehen die gesetzlich vorgeschriebenen Kultursendeplätze

Bekannt wurde er als Autor, sogar zur legendären Schriftstellergruppe der Nachkriegszeit wurde er eingeladen, zur Gruppe 47, dann aber wurde er Filmemacher, der junge deutsche Film, so nannte man das damals gegen die Heimatschnulzen, mit denen sich die Wirtschaftswunderrepublik zu betäuben versuchte.

Für mich war der sprechende Name Alexander Kluge da, bevor ich viel von ihm mitbekam. Was er wirklich konnte, wurde mir erst präsent, als das Privatfernsehen aufkam.

Da stieß ich im Programm von RTL und Sat1 sehr spät auf sehr merkwürdige Sendungen: Mitten in der Nacht saß da jemand, ein Astronaut, ein Arzt, eine Wirtschaftsgröße oder Helge Schneider, immer wieder Helge Schneider und manchmal war auch der kürzlich verstorbene Regisseur Hans Neuenfels dabei. Den Frager sah man nie.

Es war Alexander Kluge, und es drehte sich um Opern, um Geld, um Geschichte, besonders die deutsche, um Macht und Ohnmacht der Aufklärung, um Mythen – kurz um alles Mögliche. Und dieses Mögliche des Wissens, des Handelns, und der Träume – das war die Botschaft. Darum ging es.

Für die quotenorientierten Privatsender ist so eine Sendung pures Gift. Und trotzdem haben sie diese Sendungen im Programm gehalten: Sie waren Feigenblatt, aber sie waren auch gesetzlich verordnete Kultursendeplätze – denn Kluge ist Hauptanteilseigner einer Firma, dctp, die von den Landesmedienanstalten eine Sendelizenz hat.

Alexander Kluge lebt, wie Platon und Sokrates, im Gespräch

Man kann aus der Existenz wie der Widerspenstigkeit dieser Sendungen viel lernen.

Erstens: Kluge hat das Privatfernsehen und damit die anscheinend zwingende wirtschaftliche Logik mit den eigenen Waffen geschlagen.

Zweitens: Er lebt, wie Platon und Sokrates, im Gespräch. Und drittens: Es gibt Möglichkeiten. Immer. Und viel mehr als Wirklichkeiten.

Der Dialog und die Suche nach einem Ausweg – das sind partisanenhafte Tugenden, die Alexander Kluge im Film wie im Buch pflegt.

Es gibt von ihm einen Filmessay, „Früchte des Vertrauens“ heißt er. Kluge zitiert darin sinngemäß Karl Marx: Das Leben jedes Menschen wird jede Stunde ärmer. Dazu lässt er eine Kerze im Zeitraffer abbrennen. Allerdings darf sie im Bild nicht ausgehen. Sie brennt auf ewig im Zeitraffer. Ungefähr so stelle ich mir das bei Kluge vor. Beschleunigung, Geschwindigkeit, kein Ende.

Diese Frische bis zum 90.Geburtstag zu halten, in vielen Medien und auf vielen Gebieten lebendig geblieben zu sein – das ist sehr beeindruckend. Auch dazu kann man Alexander Kluge gratulieren.

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Alexander Wasner