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Aleš Šteger – Gebrauchsanweisung für Slowenien

Stand
Autor/in
Holger Heimann

Aleš Šteger porträtiert in seinem Reisebuch Slowenien als ein Land an der Schnittstelle unterschiedlicher Kulturen.

Die „Gebrauchsanweisung" bringt die komplexe Gefühlslage der Slowenen nah und ist ein passender Begleiter für eine geruhsame Entdeckungsreise zwischen Alpen und Adria.

Was haben die ehemaligen Präsidenten der USA, Italiens und Frankreichs, was haben Bush, Berlusconi und Sarkozy gemeinsam? Sie alle verwechselten Slowenien mit der Slowakei. Dem Selbstwertgefühl der zwei Millionen Slowenen war und ist das nicht zuträglich. Doch das nördlichste Land des ehemaligen Jugoslawiens gilt auch als Musterbeispiel einer gelungenen Transformation. Kaum ein anderes vormals sozialistisches Land in Europa hat den Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft, vom Einparteienstaat zur Demokratie besser bewältigt. Die Folge dieser gegensätzlichen Erfahrungen ist eine Ambivalenz. Das meint jedenfalls der Schriftsteller Aleš Šteger in seiner „Gebrauchsanweisung für Slowenien“:

„Der Slowene ...hat eine Doppelmoral verinnerlicht, die ihn untertänig und hochnäsig zugleich erscheinen lässt. Dem Balkan und dem Ostblock gegenüber fühlt er sich überlegen, obwohl sich ein solches Gefühl nicht aus Realität speist, sondern aus Vorurteilen. Und ebenso wird er schnell still, wenn der Westen spricht. Oder er wiederholt brav, was eben gerade gesagt wurde.“

Viel Europa auf kleinstem Raum

Aleš Šteger schreibt mit Witz und zuweilen auch ironischer Distanz. Wenn er wiederholt kritisch auf sein Land blickt, dann ist die Kritik spürbar von Zuneigung bestimmt. Und er formuliert Sätze, die man sich merkt: „Nirgends findet man so viel Europa auf kleinstem Raum“, schreibt er. Šteger, der das kleine Land zu Fuß umrundet hat, meint damit die Nähe von Bergen und Meer, von Weinhügeln und Tiefebene. Aber er meint noch mehr. In Slowenien treffen der germanische, der romanische und der slawische Kulturkreis aufeinander. Gesellschaftlich und politisch war der Einfluss aus dem italienischen Westen und dem österreichischen Norden lange prägend. Vor der Gründung des ersten jugoslawischen Staates 1918 bestimmten die Habsburger mehr als sechs Jahrhunderte lang die Geschicke Sloweniens. Geografisch liegt Slowenien in Zentraleuropa. Trotzdem wähnen sich viele Slowenen eher auf einem Außenposten, glaubt Šteger.  

O-Ton Aleš Šteger:
„Wenn man es positiv sehen will, ist man ein Land in der Mitte. Es ist ein Punkt, wo sich vieles kreuzt. Auf der anderen Seite, wenn man sich selbst irgendwie einordnen möchte, ist man immer am Rand. Man fühlt sich am Rand von Mitteleuropa, am Rand vom Balkan, am Rand des mediterranen Raumes. Also nirgendwo und überall zugleich.“

Den Mix der Kulturen als Reichtum betrachten

Von Aleš Štegers Geburtsstadt Ptuj ist es nicht weit nach Ungarn und Österreich. Die kroatische Grenze ist gar nur 20 Kilometer entfernt. Der Kulturen-Mix ist hier vielleicht noch spürbarer als anderswo im Land. Šteger wünscht sich, dass seine Landsleute die komplexe historische Prägung als Reichtum begreifen.

O-Ton Aleš Šteger:
„Sehr lange Zeit, vor allem während der jugoslawischen Kriege und unmittelbar danach, war es ein extremer Destabilisierungsfaktor, weil man immer wieder in die Bedrängnis gebracht wurde von außen, sich einzureihen. Die Politik sagte, wir gehören zu Europa, waren Teil von K und K, das hatte den Effekt, dass die Leute den anderen, den jugoslawischen Teil verdrängen wollten. Das ist sehr kontraproduktiv.“

In Slowenien kann man Entschleunigung lernen

Aleš Šteger bringt die komplizierte Gefühlslage seiner Landsleute kenntnisreich nah. Aber manches gerät ein wenig kurz. Zur Jugo-Nostalgie gibt es nur eine Seite, obschon das jugoslawische Erbe weiterhin bedeutsam ist. Wie stark die Polarisierung der Gesellschaft mit dem Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen verknüpft ist – mit der Frage, wer Kommunist war und wer Nazi-Kollaborateur –, bleibt außen vor. Doch diese Gebrauchsanweisung soll kein Geschichtsbuch sein, jedenfalls nicht nur. Das Buch ist vielmehr eine beschwingte Einladung dazu, Land und Leute kennenzulernen. Wie das am besten gelingt, weiß Šteger:

„Will man Slowenien wirklich entdecken, muss man raus aus den urbanen Gegenden, dahin, wo es nichts Sehenswertes gibt, und in dieses Nichts so lange hineinblicken, bis man wenigstens die Umrisse von etwas erblickt.“

Slowenien, meint Aleš Šteger, sei für die Entschleunigung gemacht. Mit seiner Gebrauchsanweisung hat man für eine geruhsame Entdeckungsreise zwischen Alpen und Adria den passenden Begleiter.      

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Holger Heimann