Nur eine Doktorarbeit untersucht weibliche Homosexualität in der Nazizeit
Claudia Schoppmann war die Erste, die sich Ende der 1980er-Jahre der durch die Nazis verfolgten lesbischen Frauen annahm. Die gebürtige Stuttgarterin leistete damals Pionierarbeit und promovierte an der TU Berlin in Neuerer Geschichte zum Thema „Bekämpfung der (weiblichen) Homosexualität im Dritten Reich“. Ihre Forschung fand dabei wenig Unterstützung von Universitäten und traditionellen Forschungseinrichtungen.
Im Vergleich zur relativ breiten Forschungslage bei schwulen Männern blieb Schoppmanns Buch die einzige Monografie zur Verfolgung lesbischer Frauen. Das könnte nicht zuletzt auch an patriarchalen Strukturen liegen, die oft wenig Raum für queere und lesbische Geschichte bieten.
Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, überlegten sie, Paragraf 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, auch für Sex zwischen Frauen zu verschärften. Sie verwarfen die Idee jedoch. Das verleitete Wissenschaftler lange zu dem Schluss: kein Paragraf, keine Verfolgung.
Dokumente aus dem KZ Ravensbrück belegen die Verfolgung
Eine Stunde nördlich von Berlin in der Gedenkstätte Ravensbrück liegen mittlerweile klare Indizien vor, dass die Nazis nicht nur Schwule, sondern auch Lesben verfolgten. Eine eigene Kategorisierung für lesbische Frauen, wie der Rosa Winkel, den schwule Männer tragen mussten, gab es nicht. Jedoch wurden Einweisungskarten mit der Abkürzung „LL” für „lesbische Liebe” gefunden, wie eine ehemalige Insassin berichtete.
Zudem belegen Dokumente, wie zwölf Frauen aus einem Hamburger Lesbenlokal als „Asoziale” gebrandmarkt und nach Ravensbrück verschleppt wurden.
Das Volk lehnte auch weibliche Homosexualität ab
Sexuelle Beziehungen zwischen Frauen waren für einen Großteil der deutschen Gesellschaft ein Tabuthema. Nachbarn, Familienmitglieder und Freunde lehnten weibliche Homosexualität entschieden ab und denunzierten die Frauen bei der Polizei.
Auch wenn diese nicht strafbar war, konnte eine Denunzierung dazu führen, dass lesbische Frauen verstärkt überwacht wurden. Dadurch fielen illegale Aktivitäten schneller auf.
Die Gründe der Verhaftung waren daher oft vorgeschobene. Wenn lesbische Frauen verhaftet wurden, dann als Jüdinnen, politische Gegnerinnen, Asoziale und Romnja. Dies geschah fast immer intersektional, das heißt im Kontext von anderen Dingen, die die Nazis als unwürdig erachteten. Sei es Widerstand, unangepasstes Leben wie zum Beispiel Sexarbeit, oder Nicht-Weiß-Sein. Nur in wenigen Fällen wurde die Sexualität genannt.
Eine lesbische Liebe, die im KZ Ravensbrück begann: Dokumentarfilm „Nelly & Nadine“
Mehr Sichtbarkeit durch jüngste Aufarbeitungsversuche
Die beinahe Unsichtbarkeit dieser Verbrechen verhinderte wissenschaftliche Aufarbeitung und Einordnung und damit auch ein gesellschaftliches Durchdringen. Erst in den letzten Jahren gewann das Thema an Sichtbarkeit. Der Dokumentarfilm „Nelly & Nadine“ von Magnus Gertten feierte auf der Berlinale 2022 in der Kategorie Panorama seine Premiere. Er erzählt von lesbischer Liebe, die im KZ Ravensbrück begann.
Seit 2022 erinnert ein Mahnmal an lesbische NS-Opfer
Seit 1980 versuchte die Initiative „Autonome feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich“ im KZ Ravensbrück ein Mahnmal zur Erinnerung für lesbische NS-Opfer aufzustellen. Seit 2022 erinnert nun dort eine Gedenk-Kugel an die lesbischen Frauen und Mädchen von Ravensbrück und verschafft dieser Opfergruppe dadurch einen sichtbaren Platz in der Geschichte.