Welche Nachteile und Diskriminierungserfahrungen erfuhren queere Menschen, vor allem lesbische Frauen, in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik? Teams der Universitäten Freiburg und Heidelberg haben dies erforscht. Im Gespräch mit SWR Kultur berichtet Historikerin Sylvia Paletschek über die Ergebnisse.
Zwischen Widerständlerinnen und Täterinnen
„Wir haben die ganze Palette“, sagt Paletschek über das Spektrum an Lebenswelten von lesbischen Frauen im Nationalsozialismus. Es habe Widerständlerinnen, Mitläuferinnen und auch Täterinnen gegeben, zum Beispiel als Aufseherinnen im KZ.
Wichtiges Ergebnis der Forschung: Neben der sexuellen Orientierung wurden die Betroffenen meist auch aus einem anderen Grund verfolgt, zum Beispiel, weil sie Jüdinnen waren oder politisch aktiv. Das Lesbisch-Sein habe als „asoziale Praxis“ gegolten, so Paletschek.
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Die Nationalsozialisten verfolgten vor und während des Zweiten Weltkrieges Jüdinnen und Juden, Sinti*ze und Rom*nja, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen Zeugen Jehovahs und politische Gegner*innen. Ihre Opfer wurden erniedrigt, zur Zwangsarbeit gezwungen und ermordet. All ihnen wird am 27. Januar gedacht: seit 1996 in Deutschland und seit 2005 weltweit.
Auch „Safe Spaces“ im Südwesten
Auch im Südwesten gab es vor 1933 in Städten wie Stuttgart oder Mannheim Lokale, in denen sich lesbische Frauen trafen. „Etwa im Restaurant ‚Sonnenhof‘ in Stuttgart oder in Mannheim im Lokal ‚Zum Rheintor‘“, erzählt Paletschek. Neben Zeitschriften mit Kleinanzeigen zum Kennenlernen seien auch Vereine gegründet worden: „Über diese Ankerpunkte hat sich auch eine queere Szene im Südwesten entwickelt.“
Paragraf 175 des Strafgesetzbuches, der in Teilen noch bis 1994 homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, habe sich auch auf lesbische Frauen negativ ausgewirkt, betont die Historikerin. Trotz der nominellen Gleichberechtigung durch das Grundgesetz seien lesbische Frauen benachteiligt worden: „Frauen, die in Scheidung oder in lesbischen Beziehungen lebten, verloren das Sorgerecht für ihre Kinder“, erklärt Paletschek im Gespräch.
Mehr Sichtbarkeit für lesbisch-queere Verfolgte
Mit dem Projekt wollen die Teams der Universitäten die Sichtbarkeit lesbisch-queerer Lebenswelten verbessern. „Viele Frauen fühlten sich verloren, waren einsam und wussten nicht, was mit ihnen los ist“, resümiert Paletschek nach Auswertung von Gesprächen mit den befragten Personen: „Es ist wichtig, sie sichtbar zu machen, um sie zu legitimieren.“