Kostenexplosion nach der Pandemie
65.000 Besucher, 350 Künstler, 22 Bühnen. Das Technofestival Nature One im Hunsrück ist ein Event der Superlative. Die Veranstalter auf der ehemaligen US-Raketenstation Pydna blicken optimistisch in die Zukunft.
Doch auch hier sind die Kosten nach der Corona-Pandemie um die Hälfte gestiegen. Hauptursachen sind vor allem höhere Gagen, sowie gestiegene Personal-, Material- und Transportkosten. Das Budget setzt den Ton in der gesamten Branche.
Marktkonsolidierung durch Überangebot
„Es gibt aktuell ein Überangebot an Live-Entertainment-Veranstaltungen. Gleichzeitig sind die finanziellen Möglichkeiten der Besucher aufgrund der hohen Inflation der letzten Jahre eingeschränkt“, sagt Oliver Vordemvenne, Veranstalter der Nature One im Gespräch mit SWR Kultur.
„Eine Konsolidierung des Marktes hat bereits begonnen, erste Festivals mussten wegen niedriger Ticketverkäufe abgesagt werden“, so Vordemvenne.
Corona verändert die Festivallandschaft
Die Festivallandschaft lichtet sich nach der Pandemie. Ob das große „Melt“ in Ferropolis, das kleine Festival „Meeresrausch“ auf Usedom, das Progressive-Rock-Festival „Night of the Prog“ im Loreley Amphitheater: sie alle fanden zum letzten Mal statt.
Andere wie das Stuttgarter HipHop Open mussten direkt ersatzlos gestrichen werden. Die Livemusikszene steht vor ihrem größten Umbruch.
Personal- und Materialkosten steigen rasant
Während der Pandemie verließen viele Fachkräfte die Veranstaltungsbranche, doch anschließend stieg der Bedarf wieder rapide. Sicherheitsdienste, Tontechniker und Sanitäranlagen werden auch von Messen, Kongressen und anderen Konzerten stark nachgefragt und kosten mehr.
Zudem sind die Gagen der Acts deutlich gestiegen, ebenso Material- und Energiekosten.
Stuttgarter Musik-Festival Stuttgart: Auch letztes "HipHop Open" findet nicht mehr statt
Auch die letzte Ausgabe des Stuttgarter Musik-Festivals "HipHop Open" findet nicht mehr statt. Das teilte der Veranstalter am Donnerstag mit. Das Festival war im August geplant.
Ticketpreise schießen in die Höhe
Doch die Preise steigen weiter. Allein im Vergleich zum letzten Jahr um 30 Prozent, schätzte der Branchenverband LiveKomm. Veranstalter reagierten auf die Preissteigerungen mit deutlichen Erhöhungen der Ticketpreise.
Vor Corona kosteten Festivaltickets noch um die 100 Euro, inzwischen sind über 200 Euro keine Seltenheit mehr. Für viele Organisatoren ist damit die Grenze dessen erreicht, was sie ihren Besuchern zumuten können.
Förderprogramme decken Bedarf nicht ab
In Deutschland stehen viele Clubs und Festivals unter enormem Kostendruck und können, anders als die Hochkultur, kaum auf staatliche Förderung zurückgreifen. Die wenigen verfügbaren Förderprogramme sind zu gering ausgestattet, um dem riesigen Bedarf gerecht zu werden.
So war der aktuelle Festivalförderfonds mit 5 Millionen Euro heillos überzeichnet. Über 800 Festivals haben sich beworben, doch gefördert wurden nur 141 Anträge.
Subkultur gerät in den Krisenmodus
Die finanzielle Situation versetzt vor allem die Subkultur der Festivals in einen Krisenmodus. Hohe Ticketpreise grenzen viele Menschen aus und widersprechen oft dem inklusiven Charakter. Sogenannte Solitickets können nur einen kleinen Teil dieser Menschen abdecken. Finanziell ist mittlerweile bei vielen eine Schmerzgrenze erreicht.
Um Kosten zu sparen bleibt vielen Veranstaltern nur noch der Hebel an Qualität und Programm zu sparen. Weniger Kultur, weniger Acts, weniger Floors. Eine Spirale, die sich in die falsche Richtung dreht und der Anfang von Ende bedeuten kann.
Konsolidierung begünstigt Großveranstaltungen
Hinter den Kulissen hat längst eine Konsolidierung begonnen, bei der sich vor allem die profitabelsten Veranstaltungen durchsetzen dürften. Kommerzielle Branchenriesen wie das „Hurricane“ mit 75.000 Besuchern und „Rock am Ring“ mit 80.000 Besuchern werden mittlerweile von demselben Veranstalter organisiert.
Kürzlich wurde der britische Veranstalter Superstruct, der mehr als 80 Festivals ausrichtet, für umgerechnet 1,3 Milliarden Euro von einem US-Finanzinvestor übernommen. Das Kapital steuert die Dynamik der gesamten Branche.
Alternative Konzepte bestehen weiterhin
Den großen Investoren stehen dennoch auch große alternative Konzepte gegenüber. Das politisch links zu verordnende „Fusion“ Festival in Mecklenburg-Vorpommern etwa. Es findet wie die „Nature One“ auf einem alten Militärfluggelände mit über 70.000 Besuchern statt und ist jedoch unkommerziell ausgerichtet.
Träger ist ein Verein, der auf Werbung und Großsponsoren verzichtet. Die Veranstalter haben das Gelände gekauft und das Festival wird gleich durch ein ganzes Netzwerk von mitwirkenden Gruppen, Aktivist:innen und Unterstützer:innen getragen und realisiert. Gemeinsamkeit statt Gewinn ist das Credo.
Spezifische Festivalmodelle gewinnen an Bedeutung
Auch das Konzept des kleineren Musikfestivals wird nicht verschwinden. Die Frage ist nur, wie es aussehen muss, um nachhaltig zu funktionieren. Laut Branchenexperten haben besonders kleinere oder sehr spezifisch ausgerichtete Festivals eine Zukunft, die weniger auf Musik, sondern mehr auf ein ganzheitliches Erlebnis setzen.
Die diesjährige Ausgabe des queeren Festivals „Whole“, dem einzigen Elektrofestival dieser Ausrichtung in Europa, wird die größte seit der Gründung vor sieben Jahren sein.
Überangebot zwingt zur Marktbereinigung
Trotz der finanziellen Herausforderungen dieser Tage herrscht schlicht immer noch ein Überangebot an Festivals. Auch das ist Teil der bitteren Wahrheit. Eine Bereinigung des Marktes ist unausweichlich, wie der Branchverband LiveKomm prognostiziert.
Wichtig dürfte für die Branche hierbei sein, seine Werte nicht an internationale Investoren zu verkaufen und den unkommerziellen Sektor zu stärken und zu fördern. Denn Vielfalt beginnt nicht erst auf der Tanzfläche.