Schlamm und Regenmassen: Das Wacken Open Air wird 2023 nicht so stattfinden können wie geplant
„Rain or Shine“, das Motto des Wacken Open Air, kommt nicht von ungefähr. Seit 30 Jahren ist das Metal-Festival leiderprobt in Extremwetterlagen: Entweder das Gelände verwandelt sich bei hochsommerlichen Temperaturen in eine dürre Staubwüste oder der Holy Ground ersäuft nebst seinen Besuchern im Schlamm.
Für eine Bewältigung dieser bei Regen standardmäßig auftretenden Schlammfluten hat man vor einigen Jahren in Wacken eine Bodendrainage legen lassen – doch auch die reicht in diesem Jahr nicht aus, um das Wacken Open Air wie gewohnt stattfinden zu lassen. Die Anreise ist final gestoppt, zigtausende Metalheads werden in diesem Jahr nicht zu Wackingern werden. Die zuhausegebliebenen Fans sind untröstlich, die Stimmung ähnlich bescheiden wie das Wetter, thank you very matsch, möchte man sagen.
Immer wieder müssen Festivals wegen Unwettern gestoppt werden
Doch es ist bei Weitem nicht das erste Mal, das Petrus den deutschen Festival-Fans einen Strich durch die Rechnung macht. In den letzten Jahren mussten zahlreiche Festivals ihre Konzerte wetterbedingt zeitweilig unterbrechen oder gar frühzeitig beenden. Southside, Hurricane, Full Force, Chiemsee Summer, Green Juice und – natürlich – Rock am Ring. Die Liste ist lang.
Im aktuellen Kontext scheint es fast absurd, dass ausgerechnet Rock am Ring 2023 mit Kaiserwetter durch das Festivalwochenende kam. Die Eifel, die für ihr launisches Wetter bekannt ist und schon so manchen Festivalbesucher Anfang Juni mit Bodenfrost überraschte, zeigte sich in diesem Jahr von ihrer freundlichen Seite: nicht ein Tropfen Regen kam vom Himmel. Doch gerade Rock am Ring kann ein Lied von wetterbedingten Kapriolen singen.
Rock am Ring ging in Mendig baden
2015 und 2016, keine einfachen Jahre für Rock am Ring, das Traditionsfestival, das sich einst am Nürburgring etablierte. Nach Querelen mit einem neuen Rennstreckenbetreiber zog das Festival für zwei Jahre auf den nahegelegenen Flugplatz in Mendig – was ein fulminanter Neustart werden sollte, wurde jedoch zu einem Alptraum für Veranstalter und Rock-Fans.
Schon 2015, bei der Erstausgabe in Mendig, drohte das Festival im Schlamm zu versinken, anhaltende Unwetter machten das Gelände nahezu unwegbar. Die Fans waren frustriert und, ähnlich wie bei Wacken in diesem Jahr, nicht zufrieden mit Organisation, Kommunikation und Handhabe der Veranstalter.
Die Konzerte konnten zwar weitgehend wie geplant stattfinden, doch der Spaßfaktor und die Leichtigkeit des Festivals gingen irgendwo zwischen Sturm und Schlamm sprichwörtlich den Bach runter.
Viele verletzte in Folge von Blitzeinschlägen: Das Desaster von Mendig 2016
Doch 2015 sollte nur den Anfang markieren, denn im Folgejahr traf es das Festival noch viel härter. Erneut waren die Flächen schon vor Anreise der Fans vom Starkregen aufgeweicht und es drohte sich eine ähnliche Situation wie im Vorjahr zu entspinnen. Doch es kam schlimmer, da der Flugplatz in Mendig gleich mehrfach in das Auge von Gewitterzellen rückte.
Viele Festivalbesucher verbrannten sich ihre Hände, als sie verzweifelt ihre wegfliegenden Pavillons umklammerten und von Blitzeinschlägen überrascht wurden. Andere suchten, entgegen der offiziellen Hinweise, Schutz unter Bierwagen und wurden so zum Teil schwer verletzt.
Immer wieder verschob man Konzerte und Geländeöffnungen, in der Hoffnung, die Lage würde sich bessern. Als in der Nacht ein weiteres Gewitter das Gelände streifte und mit seinen Blitzen sprichwörtlich die Nacht zum Tag machte, konnte kein Rindenmulch der Welt mehr die Schlammkrater in Mendig versiegeln.
Schließlich wurde in der Nacht von Samstag auf Sonntag das Festival durch Behörden endgültig abgesagt. Der damalige Rock am Ring-Chef Marek Lieberberg wetterte damals enthusiastisch dagegen und erhitzte die ohnehin schon erregten Gemüter fleißig weiter. „Nie wieder Rock am Ring!“, las man dieser Tage häufig im Netz.
Es zeigt sich: Sachdienliche Kommunikation in Krisenzeiten gehört nicht zu den Stärken vieler Festival-Veranstalter.
Aus der Not eine Tugend machen: Wie das Hurricane-Swim-Team die Herzen eroberte
Doch nicht immer müssen extreme Wetterlagen auch extreme Reaktionen bei den Fans hervorrufen. Wie man in ernsten Situationen nicht nur für gute Lösungen auf dem Festival selbst sorgt, sondern das Chaos auch kommunikativ souverän löst, zeigte das Hurricane-Festival im norddeutschen Scheeßel 2015. Auch hier kam es zu sintflutartigem Regen, der das Festival in eine Seenlandschaft verwandelte.
Schnell etablierte man im Hause FKP, die Veranstalter des Festivals, das „Hurricane Swim Team“: Es säßen ja schließlich alle im gleichen Boot, alle seien jetzt Mitglieder des Hurricane Swim Teams, hieß es auf den sozialen Kanälen und in der Kommunikation vor Ort. Mit viel Charme und Humor schaffte man es, den Unmut in gute Laune zu verwandeln. Plötzlich war man stolz, ein Teil dieses nassen Kollektiv-Erlebnisses zu sein, anstatt sich über nasse Zelte zu grämen.
Aus dem „Hurricane Swim-Team“ wurde schließlich eine feste Marke, die bis heute Kultstatus genießt. Eines der bis heute seltenen Beispiele, in der es ein Festival ohne Shitstorm aus einer Schräglage schaffte.
2016 musste das Southside schon am ersten Abend evakuiert werden
Nicht ganz so glimpflich davon kam das Schwester-Festival Southside, das parallel in Neuhausen ob Eck schon am Freitagabend evakuiert werden musste. Gegen 20.15 Uhr räumte man das gesamte Gelände weitläufig: Festivalbesucher wurden in ihre Autos verfrachtet, Leute ohne Auto in umliegende Turnhallen evakuiert.
Die Entscheidung war die richtige, denn schon kurz nachdem man die Reißleine zog, fegte ein verheerendes Gewitter über das Festivalgelände und legte den Campingplatz in Schutt und Asche.
Macht das noch Spaß? Ja!
Als Person, die noch nie auf einem Festival war, mögen die apokalyptisch anmutenden Bilder und Geschichten von solchen Events für Entsetzen sorgen. „Macht das noch Spaß?“, eine Frage, mit der man sich als leiderprobter Festivalfan häufig konfrontiert sieht. So anstrengend die Matsch-Märsche auch sein mögen: Die Antwortet lautet fast immer „Ja!“.
Denn so groß der Unmut auch sein mag, wenn das geplante Wohlfühl-Wochenende ins Wasser fällt: Die meisten Musikbegeisterten zieht es im Folgesommer dann doch wieder vor die großen Festivalbühnen. Denn das Gefühl, mit Gleichgesinnten ein Wochenende zu erleben, die Leidenschaft zu teilen und dem steifen Alltag für ein wenig Abenteuer zu entfliehen, überstrahlt auch die größten Gewitterwolken. Die Passion verbindet – bei Rain or Shine.