Zwei Genozide und ein Vernichtungskrieg innerhalb von 40 Jahren
120 Jahre nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes der Herero und Nama im heutigen Namibia drängt der Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer, historische Lehren aus diesem Genozid zu ziehen. Zimmerer betont im SWR2 Gespräch, dass das deutsches Militär einen ersten Vernichtungskrieg schon vor 120 Jahren in den Kolonien geführt habe, müsse in Zusammenhang gebracht werden mit dem Holocaust und auch dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Zwei Genozide und einen Vernichtungskrieg innerhalb von 40 Jahren, dass müsse kritisch aufgearbeitet werden.
Lange Zeit weder Anerkennung noch Aufarbeitung
Seit 2021 erkennt die Bundesregierung die Verbrechen an den Herero und Nama als Völkermord an. Historiker Zimmerer weist aber darauf hin: Es sei problematisch, dass im Gegensatz zur Bundesregierung der Bundestag zwar die Völkermorde an den Armeniern und an den Ukrainern anerkenne, den an den Nama und Herero aber bis heute nicht: „Natürlich sagen Leute weltweit, dass der Bundestag sich leichter tut, die Verbrechen anderer anzuerkennen, als die eigenen.“
Nachkommen der Opfer bei Verhandlungen mit Namibia nicht eingeladen
Das von der deutschen und der namibischen Regierung ausgehandelte Abkommen könnte, so Historiker Zimmermann, durchaus helfen, den Nachfahren der Opfer zu einem besseren Leben zu verhelfen und dafür sorgen, „dass sie nicht über Generationen in einer Armut hängen, die von den Deutschen mitverursacht wurde“. Problem sei, so Jürgen Zimmerer: Die Nachkommen der Opfer wollten dieses Abkommen mehrheitlich nicht, weil ihre maßgeblichen Sprecherinnen und Sprecher bei der Aushandlung nicht dabei waren.
Herero und Nama klagen gegen Abkommen
Dass Vertreter der Nama und Herero nicht mit am Verhandlungstisch gesessen hätten, sei eine diplomatische Dummheit erster Ordnung, so Historiker Zimmerer. Wenn man Aussöhnung wolle, sei es „eine absurde Vorstellung, dass die Nachkommen der Opfer klagen, dass dieses Abkommen nicht in Kraft tritt, während die Nachfahren der Täter in der Form der Bundesregierung sagen, wir ziehen das jetzt einfach durch, auch wenn ihr das nicht wollt“. Namibia war von 1884 bis 1915 deutsche Kolonie. Zwischen 1904 und 1908 töteten deutsche Truppen zehntausende Herero und Nama.
Deutsche Kolonialgeschichte
Diskussion Völkermord im Kaiserreich – Steht Deutschland zu seiner Kolonialzeit?
Der Terror an den Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika war Völkermord. Dieses Bekenntnis der Bundesregierung ist eine historische Kehrtwende im Umgang mit dem kolonialen Erbe. Die Nachfahren der Opfer sind enttäuscht über die Einigung mit der Regierung im heutigen Namibia. Hat sich Deutschland zu billig von seiner Verantwortung „frei gekauft“? Wie ist ein fairer Ausgleich möglich? Jürgen Heilig diskutiert mit Jürgen Hardt – außenpolitischer Sprecher CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfram Hartmann – Historiker, Windhoek, Daniel Pelz – Afrikaredaktion, Deutsche Welle
Aula Deutsche Kolonialgeschichte – Endlich wird sie aufgearbeitet
Langsam findet die deutsche Kolonialzeit in Afrika Beachtung in der deutschen Öffentlichkeit: Es wird über Straßennamen wie „Mohrenstraße“ oder die Rückgabe enteigneter Kulturgüter aus Namibia diskutiert. Der Nationalsozialismus hingegen steht in den Schulen jährlich auf dem Lehrplan. Doch was Deutschland in seinen Kolonien in Afrika, in Asien und dem Pazifik zu verantworten hat, erfahren die Schüler*innen kaum. Aber auch in der Gesellschaft insgesamt fand das Thema bisher wenig Beachtung. Das ändert sich allmählich. Ralf Caspary im Gespräch mit dem Afrikanisten Professor Andreas Eckert. | Mehr zur Sendung: http://swr.li/kolonialgeschichte | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: wissen@swr2.de | Folgt uns auf Twitter: @swr2wissen