„Es handelt um: Aufzeichnungen aus Vergangenzeit: terrestrisch Wissen, haltet fest Schall. Und Ton und Kling und Sprech ...“ So beginnt ein Audioguide, der aus den Trümmern eines zerstörten Museums gerettet werden konnte.
Dort wurden Apparate zur Tonaufzeichnung ausgestellt, die bisher unbekannt waren oder nur in der Literatur oder der Mythologie vorkamen: Ein Meerschallschwamm, ein Schweigefang. Nun ist es gelungen, Teile dieses Audioguides zu restaurieren und wieder hörbar zu machen.
Eine Autorenproduktion für Deutschlandfunk Kultur.
Jochen Meißner über das Werk
Zur Geschichte der Medien gehört immer auch die Geschichte der Apparate, mit denen sie produziert werden. So gehören zur Geschichte des Radios stets auch die Aufzeichnungsmedien: von den Phonographenwalzen über die Wachs- oder Schellackplatten bis hin zu den Magnetbändern und digitalen Speichermedien. Ulrike Janssen und Marc Matter betreiben in ihrem Stück Meerschallschwamm und Schweigefang eine fiktive Geschichtsschreibung der Schallaufzeichnung anhand nicht weniger fiktiver Aufzeichnungs- und Wiedergabegeräte. Bei dem Stück handelt es sich aber nicht um ein gefaktes Feature, sondern um ein Werk für den Klangkunstsendeplatz von Deutschlandfunk Kultur – auch wenn dafür sehr viel Sprache „in Code onduliert“ worden ist.
Inspiriert wurde das Stück von dem Aufsatz A History Of Recorded Sound des britischen Komponisten Hugh Davies (1943-2005) aus dem Jahr 1977. Davies zeichnet dort tabellarisch die Geschichte der Tonaufzeichnung seit dem ersten vorchristlichen Jahrtausend nach – inklusive einer Rubrik für „Legends and Literature“, in der vor allem imaginierte Technologien vorkommen. In der Nachfolge von Davies haben Ulrike Janssen und Marc Matter einzelne ihrer „Apparate“ abgeleitet und weitere nach einer ähnlichen Logik dazu erfunden.
Die „Schallgewunder“, aufgezeichnet von verschiedenen „Verschollmaschinen“, werden – so die erzählerische Rahmung – von einem nicht immer fehlerfrei funktionierenden Audioguide eines zerstörten Museums, dem „Schallaufzeichnungsaufbewahr“, vermittelt. Ulrike Janssen, Trägerin des Karl-Sczuka-Förderpreises 2011 für das Stück vogelherdrecherche nach dem Gedichtzyklus von Thomas Kling, und Marc Matter, als Mitbegründer des „Institut für Feinmotorik“ ebenfalls 2011 Sczuka-Preisträger ( für Die 50 Skulpturen des Institut für Feinmotorik), haben sich für ihr erstes gemeinsames Stück eine eigene Sprache ausgedacht, die weitgehend auf Endsilben verzichtet und deren Grammatik über gewisse Eigenheiten verfügt.
Was man dabei über das in „Ton und Kling und Sprech“ fixierte „terrestrisch Wissen“ erfährt, ist von hohem Reiz. Denn während man sich bemüht, den sprachlichen Verrenkungen des Audioguides zu folgen, wird die Funktionsweise beispielsweise eines „Türsprechbambusspitz“ erklärt. Der besteht aus einer Bambusspitze, die wie eine Schallplattennadel durch eine Rille fährt und das Türblatt als Lautsprecher benutzt. So erklingt bei jedem Öffnen und Schließen einer Tür ein kurzer Satz, mal vorwärts, mal rückwärts abgespielt: „Mal los : So la(h)m“ – ein akustisches Palindrom. Für den Hörer ergibt sich ein doppelter Lustgewinn: Man hat erstens erfolgreich die Sprache des Audioguides dekodiert und zweitens die Funktionsweise des Schallaufzeichnungs- und Wiedergabegeräts verstanden. Obendrein gibt es dann noch ein „Beispielhör“ des so erzeugten Sounds, der die durch die Beschreibungen der Apparatur erzeugten Erwartungen erfüllt oder enttäuscht. Eben diese Brechung ist eines der Kennzeichen des Komischen, das in diesem Stück den lust- und humorvollen Umgang mit dem Material ausmacht und den oft schwer konzeptuellen Klangkunstdiskursen eine große Leichtigkeit verleiht.
Kaum zu überschätzen ist dabei die Leistung der Sprecherin Susanne Reuter, die sich in der Rolle des Audioguides den Herausforderungen der Kunstsprache gestellt hat. – Auch die Stimme könnte man für eine künstlich generierte halten, fehlt ihr doch jeder Atem. Nicht alle der vorgestellten Apparate sind so einfach wie der „Türsprechbambusspitz“. Für den „Schallwellknot“ braucht man beispielweise eine „Schallrückwickelkurbel“ und einen „Phonseparator“, um die aufgezeichneten Töne wiederherzustellen. Dass Schallereignisse auch eingefroren werden können, hatte schon François Rabelais im 16. Jahrhundert in seinem Werk Gargantua und Pantagruel beschrieben, Janssen und Matter haben dafür einen „Schallfrierapparat“ erfunden. Wozu die ganzen Vorrichtungen dienen? Als „bewunderswert Erinnerhelf und zu Nutz für Spiel und Spionier“. Manchmal ist man sich aber über den Sinn und Zweck auch nicht sicher. Zum „Kopfkryptographen“ heißt es lapidar: „Nutz unklar“. Beim Hörspiel Meerschallschwamm und Schweigefang handelt es sich aber nicht nur um eine anekdotische Aneinanderreihung von skurrilen Apparaturen (zu denen auch die im Titel genannten gehören), sondern um eine Klangkunstkomposition, die eine Vielfalt an Techniken der digitalen und analogen Klangmanipulation versammelt.
Man erlebt deren Funktionsweise beispielsweise mit dem „Sprechklingemulgator“ auch selbstreflexiv und selbstreferentiell, sozusagen im Vollzug: Der Apparat verrührt in einem „Röhrgefäß“ Sprache und Klänge, pardon: „Sprech und Kling“, zu einer Emulsion. Wie in einer Zeichnung des holländischen Grafikers M.C. Escher springt bei alldem die Wahrnehmung immer wieder zwischen Vorder- oder Hintergrund hin und her und man kann sich nie ganz sicher sein, ob man sich auf akustischer Ebene nicht in einer jener unmöglichen geometrischen Strukturen à la Escher verfangen hat. Am Ende des knapp 45-minütigen Hörspiels wird aus dem Essay Der Lärm - Eine Kampfschrift gegen die Geräusche unseres Lebens von Theodor Lessing aus dem Jahr 1908 zitiert: „Wenn man einem Geräusche glücklich entkommen ist, gerät man mit Sicherheit in das andere hinein.“ So gerne hat man sich selten in einem Klangkunstwerk verlaufen.
Jochen Meißner; erweiterte Version eines erstmals in der Medienkorrespondenz Heft 23/2018 erschienenen Textes
Wettbewerb 2019 und Begründung der Jury
In diesem Jahr wurden 74 Wettbewerbsbeiträge aus 17 Ländern eingereicht.
Über die Preisträger hat am Donnerstag, 11. Juli 2019, in Baden-Baden eine unabhängige Jury unter Vorsitz der ehemaligen Kulturstaatsministerin Christina Weiss entschieden. Weitere Jurymitglieder waren Marcel Beyer, Julia Cloot, Michael Grote und Helmut Oehring.
Die Preisverleihung erfolgte am 20. Oktober 2019 während der Donaueschinger Musiktage.
"Mit subtilem Humor entwirft diese spielerische Sprachkomposition eine Führung durch ein imaginäres Museum kurioser Apparaturen zur Schallaufzeichnung und Klangwandlung. In poetisch fragmentierter Phantasiesprache stellt uns ein Audioguide Instrumente wie den Auralisator, den Sprachklangemulgator und den Schallfrierapparat vor. Tonbeispiele aus dem akustischen Eigenleben der Ausstellungsstücke treiben das absurde Spiel mit Wort und Geräusch auf die Spitze."
Über Ulrike Janssen und Marc Matter
2011 wurde Ulrike Janssen bereits für ihr Stück „vogelherdrecherche“ mit dem Förderpreis ausgezeichnet. Im selben Jahr erhielt Marc Matter als Mitglied der Künstlergruppe „Institut fuer Feinmotorik“ den Karl-Sczuka-Preis, und gemeinsam mit Dagmara Kraus für „Entstehung. Dunkel.“ im Jahr 2015 den Förderpreis.
Ulrike Janssen
Geboren 1967, studierte Germanistik, Philosophie und Französisch an der Universität zu Köln, Promotion im Jahre 2000.
Seit 2000 erarbeitet sie als Autorin, Regisseurin und Produzentin zahlreicher Features und Hörspiele für den Rundfunk (WDR, DLF, SWR, hr u. a.). Seit 2014 arbeitet sie als Autorin und Regisseurin für das Theater, seit der Spielzeit 2018/19 auch als Dramaturgin am Theater der Keller, Köln. Lehrtätigkeiten führen sie an die Universität zu Köln, die Robert Schumann Hochschule Düsseldorf und die Hochschule Düsseldorf.
Sie war Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes, erhielt 2008 das Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung, 2011 einen Werkauftrag für das Festival Frankfurter Positionen und ebenfalls 2011 den Förderpreis zum Karl-Sczuka-Preis. 2014 war sie zum Kurt- Hackenberg-Preis für politisches Theater nominiert, 2015 erhielt sie den Jahrespreis der hr2-Bestenliste und den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik, sowie 2017 den Kölner Theaterpreis. Ulrike Janssen lebt in Köln.
Marc Matter
Geboren 1974 in Basel, studierte Medien-kunst an der KHM in Köln. Er ist Gründungs-mitglied des Instituts fuer Feinmotorik und interessiert sich besonders für die musi-kalischen Kapazitäten von Sprache und ‚Sound-Writing‘.
Seit 2010 ist er Dozent für Musik und Text am Institut für Musik und Medien der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Performances elektro-akustischer Sprachkunst und Auftragskompositionen für das Radio (SWR, WDR, DLR u. a.).
2012 war er Stipendiat der Jan Van Eyck Academy Maastricht, wo er gemeinsam mit dem Programmierer Robert M. Ochshorn an einer interaktiven Neuinterpretation des lettristischen Alphabets arbeitete. 2013 war er Fellow an der Beinecke Library der Yale University für eine Forschungsarbeit über den Lautpoeten Henri Chopin und die Revue OU. Gemeinsam mit Swantje Lichtenstein kuratierte er das cosmosmose Festival für Performance-Poesie und Verbophonie.
Karl-Sczuka-Preis 2019
Karl-Sczuka-Förderpreis 2019 Jiří Adámek und Ladislav Źelezný: Hra na uši / The Ears Game
Hra na uši / The Ears Game ist eine abstrakte Klang-Musik-Meditation über Radioproduktionen, das Erschaffen von Radiokunstwerken und deren Rezeption durch die Hörer.
Andere Preiswerke von Ulrike Janssen und Marc Matter
Karl-Sczuka-Förderpreis 2015 Dagmara Kraus und Marc Matter: Entstehung dunkel
Karl-Sczuka-Förderpreis 2015: akustisches Vexierbild aus Stimmgeräuschen und Text. Eine Komposition aus mehrstimmigem Vortrag, lyrischen Strukturen und rythmischen Klangtexturen.
Überblick Karl-Sczuka-Preis
Karl-Sczuka-Preis Hörspiel als Radiokunst
Alle Informationen zum Karl-Sczuka-Preis für Hörspiel als Radiokunst 2024. Archiv mit allen Preiswerken ab dem Jahre 2002.