Vor über einem Monat wurde ein US-Soldat vor dem Militärgericht auf der Air Base Spangdahlem freigesprochen. Freigesprochen von dem Vorwurf, den Wittlicher Michael Ovsjannikov auf der Säubrennerkirmes 2023 erstochen zu haben. Dessen Familie sei immer noch "im Schockzustand", sagt Vater Michael Ovsjannikov.
Dass der Angeklagte trotz seines Geständnisses frei gesprochen wurde, das kann die Familie nicht verstehen und nicht akzeptieren. Hinzu kommt die mediale Aufmerksamkeit, die langsam müde mache: Die Interviews, die die Familie in den letzten Wochen verschiedenen Medien gegeben hat.
Viele offene Fragen nach Ende des Militärprozesses Familie des Opfers der Wittlicher Säubrennerkirmes: "Unsere Hoffnung wurde zerrissen"
Nach dem Freispruch beim Militärprozess in Spangdahlem blieben einige Fragen offen. Manche davon sind jetzt beantwortet. Für die Familie des Opfers ist vieles aber noch nicht klar.
Aber auch diverse Expertenaussagen im Radio oder Online, etwa dazu, dass nach dem Freispruch ein weiterer juristischer Weg nicht möglich sein dürfte: "Es gibt ganz viele Experten, die schöne Sprüche sagen, weil sie nicht betroffen sind. Wären sie persönlich betroffen, würden sie anders reden." Die Familie will am Sonntag erneut gegen den Freispruch demonstrieren.
Opferfamilie fühlt sich im Militärprozess auf der Air Base betrogen
Denn warum das Verfahren an die US-Strafverfolgung abgegeben wurde, warum das Geständnis vor deutschen und US-amerikanischen Ermittlern nicht gewertet wurde, warum das Verfahren nach dem Freispruch abgeschlossen ist - das alles sei für sie als normale Bürger nicht zu verstehen.
Der Anwalt des angeklagten US-Soldaten hatte den Antrag gestellt, das Geständnis, das dieser am Tag nach der Tat gemacht hatte, nicht zuzulassen. Es sei unter Zwang entstanden. Die deutsche Staatsanwaltschaft hat diese Behauptung gegenüber dem SWR bestritten. Außerdem sei der Soldat sehr wohl informiert worden, dass er eines Tötungsdelikts verdächtigt werde.
Für Michael Ovsjannikov ist es deshalb nach wie vor unverständlich, dass die Richterin entschieden hat, das Geständnis der Jury im Prozess nicht vorzulegen. "Was der Anwalt behauptet hat, ist eine reine Lüge. Wie das Geständnis abgelaufen ist, das gibt es ja schriftlich. Wie konnte die Richterin das entscheiden und das, was der Anwalt sagt, für wahr halten? Ich vermute, dass das eine Manipulation der Fakten ist", sagt Michael Ovsjannikov.
Um mehr darüber zu erfahren, hat die Familie einen Antrag gestellt, um die Prozessakten einsehen zu können. Ovsjannikov fühlt sich vom US-Gericht betrogen und ist der Meinung, die deutsche Justiz müsse eingreifen.
Sein Sohn Daniel pflichtet ihm bei: "Die deutsche Staatsanwaltschaft arbeitet für uns Bürger, deshalb finde ich es unfassbar, dass sie das Verfahren abgegeben und den Kopf in den Sand gesteckt hat." Auch Politiker seien dazu da, Entscheidungen für die Bürger zu treffen: "Aber in unserem System quatschen die meisten Politiker, aber keiner handelt."
Vorwürfe an die Politik
Familie Ovsjannikov fühlt sich von der Politik komplett allein gelassen. Sie hat sich an den Petitionsausschuss des Bundestages gewandt und wartet noch auf eine Antwort. Aus der Politik habe bisher einzig die AfD mit der Familie telefoniert. Dass die Fraktionen der Regierungskoalition den Prozess im Rechtsausschuss des Landtags am 12. Dezember besprechen wollen, habe Familie Ovsjannikov nur über die Medien erfahren.
Von dem Ausschuss erwartet sich Michael Ovsjannikov, dass die Landesregierung auf den Militärprozess reagiert: "Wir werden immer wieder Druck aufbauen. Was mit uns passiert ist, darf nie wieder passieren. Alles, was man machen konnte, wurde falsch gemacht."
Bisher habe die Familie nicht gespürt, dass der deutsche Rechtsstaat hinter ihr stehe, sagt er: "Die Politiker haben doch einen Eid geleistet und müssen mit reinem Gewissen handeln. Aber was für ein Gewissen können die haben?"
Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) hat jetzt angekündigt, dass die Landesregierung prüft, ob sie wegen des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut handeln muss. Danach hatte die deutsche Staatsanwaltschaft das Verfahren an die US-Behörden abgegeben. Auch diese Ankündigung kann Michael Ovsjannikov nicht beruhigen: "Wir wollen keine halben Sachen. Der ganze Prozess müsste von der deutschen Justiz noch einmal überprüft werden."
"Mission" gegen das gesamte "System"
Er wünscht sich, dass niemandem das widerfährt, was die Familie erlebt hat. Es solle den Menschen aber bewusst sein, dass es sie genauso treffen könne. Deshalb organisiert die Familie am Sonntagnachmittag die zweite Demo vor der Air Base Spangdahlem.
Obwohl auch diese Demo, wie die erste im Oktober, unter dem Motto "Justice for Micha" steht, geht es Familie Ovsjannikov nicht mehr nur darum, Gerechtigkeit für ihren Sohn und Bruder zu erreichen und dessen Tod zu sühnen. Sie möchten "das System", wie sie sagen, ändern. Dazu gehöre, dass das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut abgeschafft werden müsse.
Tödliche Messerstecherei auf Säubrennerkirmes Wittlich Rund 800 Menschen protestieren in Spangdahlem gegen Freispruch
Das US-Militärgericht Spangdahlem hat den Angeklagten im Prozess um den tödlichen Messerangriff freigesprochen. Hunderte Menschen haben vor der Airbase dagegen protestiert.
Aber auch, dass die Politik wieder im Sinne der Bürger handle. Das tue sie bisher nicht, findet die Familie: "Das ist unsere Mission geworden. Wir sind immer noch am Anfang. Wir machen unseren Plan und werden nicht aufgeben."
Was dieser Plan im Detail beinhaltet und was das genaue Ziel ist, das sagt Ovsjannikov nicht. Der Anwalt der Familie werde diesen Weg nicht mehr ganz mitgehen, sie aber beim Antrag auf Akteneinsicht zum Prozess unterstützen.
Vater Michael Ovsjannikov ist der Meinung, Deutschland sei ein durch die USA besetztes Land. Das ist auch eine Behauptung in der Reichsbürgerszene. Er sei aber kein Verschwörungstheoretiker, findet Ovsjannikov: "Gar nicht. Ich möchte nur, dass die Leute anfangen, kritisch zu denken."