Aach bei Trier, um halb fünf Uhr morgens. Es ist eigentlich viel zu früh für mich. Zumindest für meinen Biorhythmus. Die vier Ehrenamtlichen der Kitzrettung des Landesjagdverbandes Kreisgruppe Trier-Saarburg hingegen sind hellwach.
Die Uhrzeit sei Gewöhnungssache, sagt Alwin Hontheim, Leiter des Hegering Kyll, Sauer und Stadt Trier. Für ihn und die gesamte Gruppe ist der Einsatz nicht der erste. Seit drei Wochen sind sie jeden Morgen auf den Feldern und Weiden in der Region unterwegs.
Bei der heutigen Aktion, darf ich das Team unterstützten. In teilweise schulterhohem, dichtem Gras auf den Wiesen der Landwirte werden wir in den kommenden Stunden mit Hilfe von Drohnen nach Rehkitzen suchen, um sie vor den Mähmaschinen der Landwirte zu bewahren. 27 Rehkitze hat das Team bei seinen Einsätzen in den vergangenen Wochen bereits gefunden. Und ich bin gespannt, wie viele es nach heute sein werden.
Im Handumdrehen ist alles vorbereitet, um das Herzstück der Aktion starten zu können: die Drohne inklusive Wärmebildkamera. Fliegen darf ich sie selbst nicht. Das übernehmen die beiden Piloten des Teams, denn dazu braucht man einen entsprechenden Drohnenführerschein.
Zunächst ist es noch frisch, fast schon kühl, aber vor allem klamm. Die Feuchte hängt in der Luft. Die perfekten Voraussetzungen für die anstehende Rettungsaktion. Je kühler, desto einfacher sei es auch, die Tiere durch die Wärmebildkamera zu sehen, erklärt mir Alwin Hontheim während die Drohne über unseren Köpfen surrt und das Feld abfliegt . "Es ist Wahnsinn, was uns die Technik heutzutage ermöglicht. Und da müssen wir mitgehen. Wer stehen bleibt, der verliert."
Landwirt meldet sich bei den Kitzrettern
Ähnlich beeindruckt von den Möglichkeiten ist Thomas Görres, Landwirt aus Besslich. Ihm gehören die meisten der Felder, die heute untersucht werden. Er hatte sich in den vergangenen Tagen dazu entschieden, zu mähen, wollte aber auf Nummer sicher gehen, sodass kein Rehkitz gefährdet wird.
Deshalb hat er Alwin Hontheim angerufen und einen Termin vereinbart. In der Regel bekommt das Team der Kitzrettung von den Landwirten eine Übersicht, auf denen die Flächen, die gemäht werden müssen, gekennzeichnet sind.
Dass Thomas Görres nun vor Ort dabei sein kann, macht es leichter für uns. So kann er genau zeigen, welche Flächen ihm gehören und kann nach erfolgter Kontrolle sofort mähen. Er zeigt sich dankbar für das Angebot der Kitzretter. "Für viele von uns Landwirten ist es auch ein psychologisches Problem, wenn Tiere überfahren werden. Ohne die Kontrolle durch die Drohne mäht man mit Ungewissheit."
Mittlerweile ist es hell geworden, als Alwin Hontheim ruft: "Kitz gesichtet". Von jetzt auf gleich merkt man dem gesamten Team die Konzentration an, denn jetzt muss alles schnell gehen, damit das Tier bei der Aktion nicht allzu sehr gestresst wird. Mit einem Karton, Kescher, Handschuhen und einem Funkgerät ausgestattet geht es querfeldein.
Mit der Drohne zeigt Alwin Hontheim, wo sich das junge Tier im hohen Gras versteckt hält, indem er genau darüber fliegt. In den ersten zwei bis drei Wochen ihres Lebens haben die Kitze noch keinen Fluchtinstinkt und suchen Schutz im hohen Gras. Droht Gefahr, drücken sie sich auf den Boden und regen sich nicht vom Fleck. Vor allem in hohem Gras haben die Landwirte oft keine Möglichkeit, die Tiere zu entdecken und überfahren sie so mit der Mähmaschine. Damit Thomas Görres ohne Bedenken mähen kann, hebe ich das Tier in die Kiste und setzte es auf ein vorbereitetes Grasbett. Das Kitz wehrt sich nicht, aber sein Herz schlägt wie verrückt. Damit ist es nicht allein: Auch ich bin nervös. Was für ein Erlebnis!
Wichtig ist: Um zu verhindern, dass das Kleine meinen Geruch annimmt und die Mutter es später nicht mehr anerkennt, trage ich Handschuhe und fasse es außerdem nur mit Gras an. Die Mutter ist dabei in der Regel gar nicht so weit weg, wie wir vielleicht denken. So hat sie mich vielleicht dabei beobachtet, wie ich den Karton mit ihrem Kitz neben dem Feld abgestellt habe und Markus Görres mit dem Mähen begonnen hat.
Projekt bekommt viel Zuspruch
Das ist schnell erledigt. Und so kommt es, dass wir das Kleine nach etwa einer Stunde wieder aus dem Karton befreien und ins Feld setzten können. Mehr als drei Stunden sollten die Tiere in keinem Fall in den Boxen bleiben, meint Alwin Hontheim und wünscht dem Kitz noch zum Abschied: "Alles Gute!"
Er freue sich darüber, dass das Projekt in diesem Jahr so viel Zuspruch bekommen habe, viele Landwirte die Hilfe der Kitzretter genutzt hätten und ihnen das Wohlergehen der Tiere am Herzen liege. Laut Angaben des Landesjagdverbandes konnten Jäger in der Region Trier in den vergangenen Wochen mehrere hundert Tiere gerettet werden.
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Was in diesem Jahr für Alwin Hontheim und das Team als ehrenamtliches Pilotprojekt gestartet ist, wird im kommenden Jahr wieder angeboten. Beim Blick in die tiefen dankbaren Rehaugen, nehme er auch gerne die vier Wochen frühes Aufstehen in Kauf, sagt er.