In der Trierer Wechselstraße erinnern drei Stolpersteine im Straßenpflaster an Klemens, Louise und Alfons Pfeil. Sie waren 19, 13 und 16 Jahre alt, als die Nationalsozialisten sie 1943 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordeten. Auch weitere Trierer Sinti und Roma erlitten dieses Schicksal. Nach der Ideologie der Nationalsozialisten gehörten sie nicht zur "deutschen Volksgemeinschaft", obwohl Sinti und Roma seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland lebten.
Christian Kling ist in Trier aufgewachsen, gehört zur jüngeren Generation der Sinti und Roma und engagiert sich im rheinland-pfälzischen Landesverband der Sinti und Roma. Die Verfolgung seiner Familie in der NS-Zeit, die Ermordung vieler Familienmitglieder in Auschwitz, die andauernde Ausgrenzung auch nach der Rückkehr der Überlebenden nach Trier, das wurde ihm schon in seiner Kindheit bewusst, sagt er. "Das Ganze lag schon eigentlich wie so ein Schatten über einem."
Ausgrenzung schon vor dem 2. Weltkrieg - Verfolgung ab 1933
Schon im deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik hatte es Gesetze und Verordnungen gegeben, die Sinti und Roma ausgrenzten und benachteiligten. Ab 1933 wurden Sinti und Roma von den Nationalsozialisten rassistisch verfolgt. Kinder wurden aus öffentlichen Schulen ausgeschlossen, es gab Zwangssterilisierungen.
Nach den Nürnberger Gesetzen war ab 1935 Sinti und Roma die Ehe mit "deutschblütigen" Personen verboten. Sinti und Roma wurden systematisch erfasst und nach Rassekriterien eingestuft. Wie die Juden, sollten nach dem Willen der Nationalsozialisten auch alle Sinti und Roma deportiert und ermordet werden.
Mitte Mai 1940 wurden die ersten Sinti- und Roma- Familien in Trier von der Polizei abgeholt und in ein Sammellager nach Köln-Deutz deportiert. Sie mussten Zwangsarbeit leisten und wurden dann in Konzentrationslager deportiert. Etwa 22.600 Sinti und Roma wurden seit Februar 1943 ins KZ Auschwitz deportiert, fast alle wurden ermordet.
Auch vier Geschwisterkinder der Trierer Familie Pfeil wurden in Auschwitz ermordet. Dass es sich beim NS-Terror gegen Sinti und Roma um Völkermord handelte, erkannte die Bundesrepublik Deutschland erst 1982 an. Vorher konnten Überlebende des NS-Terrors keine Entschädigung beantragen.
Rückkehr nach Deutschland nach 2. Weltkrieg
Christian Kling hat die Überlebenden des NS-Terrors in seiner Familie als Jugendlicher gefragt, warum sie in ein Land wie Deutschland zurückgegangen sind. Die Antwort sei ganz banal, sagt er, sie hätten nicht gewusst, wohin sie sonst gehen könnten.
"Sie kamen aus dem Krieg, sie standen vor dem Nichts, waren von den Nazis entrechtet und entmenschlicht worden und hatten das Gefühl, irgendwie nirgends dazu zu gehören. Dann sind sie zu dem zurückgekehrt, was sie zumindest noch annähernd kannten." Doch nach dem 2. Weltkrieg begann das, was Sinti und Roma die zweite Verfolgung nennen.
Diejenigen seiner Vorfahren, die den Holocaust überlebt hatten, kamen dorthin zurück, wo sie hergekommen waren, sagt Christian Kling. Man habe die Menschen dann auch ganz bewusst an den Rand der Gesellschaft gedrängt und auch quartiert, einfach auch um die Klischees, die man schon vor dem 2. Weltkrieg gehabt hatte, immer wieder zu bestätigen. Anerkennung als Opfer des NS-Terrors habe es für Sinti und Roma lange nicht gegeben, in der Bundesrepublik Deutschland erst 1982.
Der lange Kampf um Anerkennung
Christian Kling erinnert sich an den Geschichtsunterricht in seiner Schulzeit in Trier Anfang der 2000er Jahre. Als der Nationalsozialismus durchgenommen wurde, sagte er zu seinem Lehrer, dass auch Sinti und Roma verfolgt und ermordet worden waren. Der Lehrer habe ihm geantwortet, das stimme nicht.
"Es ist nicht so, dass das Leid schon genügt hat, man musste auch noch dafür kämpfen, dass es wahr ist.", sagt Christian Kling. Mitte der 1990er Jahre verwüsteten Unbekannte zweimal die Gaststätte seines Großonkels in Trier-Süd, hinterließen Hakenkreuze und SS-Runen. Als sein Großonkel sich an den damaligen Trierer Oberbürgermeister gewandt habe, hätte der ihm geantwortet, Rechtsextremismus gebe es in Trier nicht.
Europäischer Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma
In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden im KZ Auschwitz-Birkenau die letzten etwa 4.300 noch überlebenden Sinti und Roma von den Nationalsozialisten ermordet. Sinti und Roma gedenken seit den 1980er Jahren am 2. August an die Opfer des NS-Terrors.
Seit 2015 erklärte das Europäische Parlament den 2. August zum Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma. Etwa eine halbe Million Sinti und Roma aus mehreren von Nationalsozialisten besetzten europäischen Ländern wurden Opfer des NS-Terrors.
Ausgrenzung und Diskriminierung nimmt wieder zu
Die aktuelle politische Entwicklung, die Zustimmung, die rechtsextreme Parteien bei vielen Deutschen finden, bereitet auch Christian Kling Sorgen. Er engagiert sich im rheinischen Landesverband der Sinti und Roma, ist Projektleiter der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus RLP. Hier können sich Betroffene, die als Sinti und Roma diskriminiert werden, auch online melden und den Vorfall schildern.
Es gebe Meldungen von Müttern nach Diskriminierung in Schulen. Ein Gewerbetreibender sei diskriminiert worden, als er eine Werbeanzeige in einer Zeitung habe schalten wollen. Er wurde aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit benachteiligt und bekam schlechtere Bedingungen als andere, sagt Kling. Diskriminierung ziehe sich durch alle Lebensbereiche, die es im Alltag gebe.
Das Z-Wort
"Wenn Menschen das Z-Wort nutzen, aus Unwissenheit oder mit Absicht, vergessen sie, dass hinter diesem Begriff das Schicksal vieler Menschen liegt", sagt Christian Kling. Dieser Begriff "Zigeuner" sei die Legitimation gewesen, diese Menschen zu ermorden.
Es sei für Sinti und Roma keine einfache Situation. Christian Kling wünscht sich schon in der Schule mehr Aufklärung und Sensibilisierung, den Abbau von Vorurteilen. So wäre es für jugendliche Sinti und Roma leichter, zur eigenen Identität zu stehen, ohne sie aus Angst verleugnen zu müssen.